Band: X

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In Band X liegen die Seitenzahlen zwischen I und 777.
Einleitung. VII
Reichlicher als die Gaben der Musen, ja verhältnismässig reich ist
die Folklore von Sur- und Sutsess. Von den Märchen, welche in ihrer
Mehrzahl allerdings zu den bekannten Typen gehören, verdient das von
der bösen Prinzessin, ebenso das vom März und vom Bauer besondere Beachtung.
… Letzteres scheint uns uraltes rätisches Erbgut zu sein.
Neben den Sagen von den Bergschlössern, von denen die Pässe
gekrönt und bewacht werden, seien noch die Sagen von den Waldfrauen
(violas) erwähnt, da sie in den Überlieferungen des Oberhalbsteins eine bedeutende
… Rolle spielen.
Überraschend gross ist die Zahl der Rätsel, die den Erdgeruch der
Heimat haben. Unter den Kinderliedern und Sprüchen weisen wir auf
den gewiss weit in die Vergangenheit zurückgehenden Spruch hin, der
bei der Loslösung der Rinde von der Weidenrute in Anwendung kam.
Das Versprechen, Butter und Honig dem Strauch zu geben, wenn er den
Wunsch erfülle, lässt auf ein Baumopfer schliessen.
Auch im Oberhalbstein begegnen wir den drei Fräulein, von denen
die eine spinnt, die andere schneidet, die dritte den grossen Floh tötet.
Die zumal im Hochgebirge erklärliche Verehrung des Nebels, von
der so mancher Kinderspruch erzählt, erhält im Oberhalbstein einen neuen
Beleg. Hier kennt das Kinderliedchen ein Wolkenross, während die Nebelsprüche
… der Surselver hauptsächlich anthropomorphisch sind.
Die alten Sprüche erzählen uns wie die Kinderlieder von längst entschwundenen
… Zeiten und Kulturen. Wenn in den Sprüchen des 14. und 15. Jahrh.
der hl. Benedikt gegen Blitz und Donner angerufen wird, so führt diese
Angabe den Geschichtsforscher, wie die Leitmuschel den Geologen, in eine
weit abliegende Vergangenheit zum Kloster Müstaigl, von dem ausser
einer Urkunde des Jahres 925 nur die einsame Klosterkirche des hl. Petrus,
voreinst die Pfarrkirche der ganzen Albula - Landschaft, zu erzählen weiss.
Das Benediktinerkloster, von dem das Hospiz seinen Unterhalt empfing,
jenes Hospiz, das später auf den Septimer verlegt und das wie so manches
Haus dieses Ordens ein Kulturzentrum wurde, erlag dem Kampfe, den das
Bistum mit den Bergklöstern um die Alpenpässe führte und der in der
bündnerischen Geschichte des Mittelalters einen so weiten Raum einnimmt.
Wenn in den letzten Jahrhunderten im Oberhalbstein gewöhnlich surselvisch
… gesungen wurde, so hat sich bei langer und sorgfältiger Nachforschung
… noch eine überraschend grosse Anzahl sur- und sutsettischer
Volkslieder gefunden. Von vergangenen Zeiten, da ein reger Verkehr
und ein politisches Bündnis Avers mit Oberhalbstein verband, erzählt die
Variante Nr. 29b … und das alte Lied, in dem das Mädchen klagt, es wolle
seinen Garten pflegen, es müsse im nächsten Jahre in das wilde Averstal,
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