IV Vorwort
an der Seite ihres Gemahls bewältigen half, glauben wir den Plan der
Chrestomathie so erfaßt zu haben, daß die Fortsetzung und der Abschluß
nicht ganz mißlingen sollte. Der Schüler wird natürlicherweise um das
Anlegen eines nachsichtigen Maßstabes bitten; … denn er kann den Meister,
der mit seinem Werke gewachsen und verwachsen war, nicht ersetzen.
Wir veröffentlichen heute eine Sammlung des Bergells, die sprachlich
… als ladinisch - lombardischer Dialekt sich charakterisiert und für den
Philologen wegen der Übergangsformen freudig begrüßt werden dürfte; wir
sind am Eingangstor Italiens, im Vorzimmer des Veltlins, das drei Jahrhunderte
… (bis 1797) bündnerisches Untertanenland gewesen. Das kleine
Bergeller Tal, das zu Bünden gehört, hat kaum 1700 Einwohner, die in
sechs Gemeinden mit im ganzen neun Höfen wohnen. Das Klima hat bereits
… südlichen Charakter und das Volk nähert sich wie in der Sprache
so auch im Temperament den südländischen Nachbaren. In den Gedichten
weht der warme Wind, welcher durch die Kastanienwälder des Bergells
haucht. Das älteste rätoromanische Dokument des Tales heißt: „La Charta
de la liga in Rumansz d' Bregaglia“, vom Jahre 1544. Aus Inventarien
der hochangesehenen Familie von Salis - Soglio, die sich in der Kantonsbibliothek
… befinden und aus zahlreichen Protokollen über Hexenprozesse,
die der olgiatischen Kopiensammlung der Kantonsbibliothek enthoben werden
könnten, hätten noch etwelche Scherben zusammengelesen werden können;
aber die Schreiber der betreffenden Akten haben vieles so stark italianisiert,
daß eine unantastbare Ausbeute „Bergellisches“ nicht zu erreichen war.
Darauf hingewiesen zu haben mag genügen, insbesondere da wir mit einem
Drama vom Jahre 1875 dienen können, das die Stürme jener Zeiten gut
wiedergibt.
Eine Anzahl Gedichte aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
vervollständigen das Bild, das wir vom Bergell entwerfen; … gesunder, derber
Humor tritt uns entgegen wie der Duft der Scholle, auf welcher sie gewachsen
… sind. Die Einheit der rätischen Volkskunde ergibt sich aus den
zahlreichen Wetterregeln, Rätseln, Spielen und Kindergebeten — oft in
alliterierenden Formen — ; die zahlreichen Belege dieser Art ergänzen den
vielleicht scheinbaren Chaos gleicher Kollektionen in den übrigen Bänden
zu einem ziemlich klaren Ganzen.
Wir verdanken hier die Mithilfe des Herrn Großrat Giovanoli, der
Herren Pfarrer H. Roffler, Vicosoprano, Pfarrer Zanugg, Bondo - Promontogno
und der Fräulein Catherina Maurizio, Frl. Anna Stampa und Maria Maurizio,
alle von Vicosoprano, die sowohl bei der Sammlung als beim Überlassen
der autographischen Handschriften große Dienste erwiesen. Herr Professor
Gianotti E. in Chur war uns bei der Korrektur behilflich und Herr
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