Einleitung. XV
von Freiburg, die wir früher genannt haben. Im Jahre 1887 versandte
Decurtins einen Prospekt, in welchem er eine zweibändige Chrestomathie 1)
versprach, die im ersten Bande die Literatur der Sur- und Sutselva, Sur-
und Sutseß, im zweiten diejenige Bergüns, des Engadins und Münstertales
enthalten sollte. Fünfzehn Jahre habe er schon an der Sammlung der
Weistümer, Volkslieder, Volkssagen, Kinderlieder, Gebete und Zaubersprüche
gearbeitet. Damals versandte er auch an viele Interessenten ein gedrucktes
Fragenheft „Questionari volksloristik Rätoromonsch“, das durch zahlreiche
Beispiele Belehrung und Anregung bieten sollte. Aus dem Dank, den er
in den Vorreden zu einzelnen Bänden, abstattet, ersieht man, daß seine
Winke mit Begeisterung und Verständnis Anklang fanden. Die eidgenössische
… Subvention, welche das Unternehmen in hochherziger Weise unterstützte,
… indem jeweilen hundert Exemplare vom Verlag zur Verschenkung
an die Schularchive der rätoromanischen Gemeinden abgenommen wurden,
ermöglichte diese monumentale Publikation, ohne daß Decurtins indessen
finanzielle Geschäfte dabei gemacht hätte.
Aus dem anfänglich vorgesehenen zweibändigem Werke wurden aber
bis zum Ableben des Herausgebers elf Bände, welche mit dem hernach
aus seinem Nachlaß publizierten Band 7433 Seiten füllten. Wertvolle
Einleitungen mit interessanten Ausblicken auf die gesamte rätische Geschichte
… und Blitzbeleuchtuugen aus der Weltliteratur und Kulturgeschichte
zeugen von der genialen Auffassung und geistreichen Durchdringung des
ganzen Werkes. Glossar, texkritischer Apparat und ausführliche Beschreibung
… des gesamten, gewaltigen handschriftlichen Materials kamen den
Forderungen der Gelehrten entgegen. Nahezu das gesamte Manuskriptmaterial
… der rätoromanischen Sprache, das zu einem großen Teil in seinem
Besitze sich befindet, ist von Decurtins beschrieben worden.
Universitätsrektor Dr. Tuor, einer der besten Kenner der ganzen
romanischen Literatur, sagt in einem sehr sympathischen und objektiven
Aufsatz, „daß die Chrestomathie die Charakterzüge des Autors die Originalität
der Idee, Großartigkeit der Auffassung und Genialität der Ausführung
keineswegs verleugne.“ Wir können auch mit dem gleichen Verfasser in
den Aussetzungen einig gehen, die sich aus dem Mangel an Systematik
ergeben, welche erst durch einen ausführlichen Registerband gehoben werden
kann. Auch dürfte der Begriff des diplomatisch genauen Abdruckes mancher
Handschriften öfters zu weit und anderemale zu engherzig gefaßt worden
sein. Man kann den Willkürlichkeiten mancher Kopisten, auf die er angewiesen
… war, erst durch persönliches Studium der Originalien auf die
1) Die erste Lieferung des I. Bandes erschien 1888; der Gesamtband lag erst
1896 vollendet vor.
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