Einleitung. XIX
Stelle vollständig abgedruckt ist, veranlasste, daß die Schweizerische
Schillerstiftung im Dezember 1918 als Anerkennung für sein dichterisches …
Schaffen eine Ehrengabe verabfolgte. In den Originalarbeiten des Dichters
gelangt oft das Gefühl zu wenig zur Geltung.
Die Dichterfamilie Tuor, Gion Antoni, der Vater und seine zwei
Söhne Alphons und Alois klingt gut ineinander. Der Vater zeigt seine
sarkastische Ader bei ziemlich ungepflegter Form in „Las troccas ed ils
trocchists“, während aus dem „Davos comiau“ eine tiefzitternde aber ergebene
… Melancholie tönt. Sarkasmus und Melancholie gingen ungeschmälert
… auf den Sohn Alphons über, die durch eine langwierige Krankheit,
… welcher er schon mit 33 Jahren (1904) erlag, reichliche Nahrung
erhielten. Was er aus seinen Leiden herausgesungen hat, bildet und bietet
neben den Heimwehliedern und dem unvergleichlichen „semnader“ die reifste
und gewiß unvergängliche Frucht seiner Muse. Aus der anfänglich
mangelhaften Form und unnötigen Länge arbeitete er sich mit größter
Energie zu einer sorgfältigen Sprache und gedrängten Vollendung empor.
Kein romanischer Dichter hat sich wie er in den meisten Versmaßen der
Völker versucht. Seine zahlreichen religiösen Lieder werden gerne gesungen,
… entbehren aber größerer Originalität und dürfen nicht neben der
„Consolaziun dell' olma“ stehen, trotzdem sie in der Kirche dieselbe vielfach
… ersetzten. Die zahlreichen satirischen Lieder sparen weder Pfeffer
noch Salz. In den Schau- und Lustspielen, die teils Originale, teils freie
Übersetzungen sind, suchte er zu oft den Volkston in allzu trivialen Ausdrücken,
… wobei der Geist, der im Original war, sich verflüchtigte. Sein
Bruder Alois bietet uns einen kostbaren Strauß unveröffentlichter Gedichte,
die bei ansprechender Gemütstiefe in tadelloser Sprache und angenehm
singender Metrik zum Besten gehören, was wir besitzen.
Gion Cadiely hat Lieder voller Wehmut, wie solche bei den Bergvölkern
… charakteristisch sind. Form und Aufbau sind so hell durchsichtig,
daß die Gedichte dahinzufließen scheinen, wie die Quelle über das weiche
Moos des Waldes. Die sarkastischen Sittenbilder offenbaren einen scharf
beobachtenden Dorfsatyriker. Es will uns scheinen, er bemühe sich zuweilen
… zu wenig um eine gewähltere Sprache und meide nicht alle Härten
im Versmaß.
P. Maurus Carnot ist ein in deutscher und romanischer Sprache gleich
gewandter Dichter, der durch seine literarische Studie im „Lande der
Raetoromanen“ und durch private Anregung auf die ganze rätoromanische
Literaturbewegung großen Einfluß ausübt. Was er mit seinem poetischen
Wunderstab berührt, wird bei ihm wie bei Clemens Brentano sofort poetisch
selbst das einfache Kalenderlied. Sein „criec d' aur“ ist ein geniales
II*
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