<TEI> <teiHeader> <fileDesc> <titleStmt> <title type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition>Digitalisierte Ausgabe</edition> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">1</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Köln</pubPlace> <publisher> <orgName>Sprachliche Informationsverarbeitung, Universität zu Köln</orgName> <email>buero@spinfo.uni-koeln.de</email> <address> <addrLine>Albertus-Magnus-Platz</addrLine> <addrLine>50923 Köln</addrLine> </address> </publisher> <availability> <licence target="http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/de/"> <p>Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.</p> </licence> </availability> </publicationStmt> <sourceDesc> <bibl>Decurtins, Caspar: Rätoromanische Chrestomathie</bibl> <biblFull> <titleStmt> <title level="m" type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition n="1"/> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">7260</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Erlangen</pubPlace> <publisher> <name>Vollmöller, Karl</name> </publisher> </publicationStmt> </biblFull> <msDesc> <msIdentifier> <repository>Digizeitschriften.de</repository> </msIdentifier> <physDesc> <typeDesc> <p>Chrestomatie</p> </typeDesc> </physDesc> </msDesc> </sourceDesc> </fileDesc> <encodingDesc> <p>Dieses Werk wurde in XML/TEI P5 kodiert.</p> </encodingDesc> <profileDesc> <langUsage> <language>Rhaeto Romanic</language> </langUsage> <textClass></textClass> </profileDesc> </teiHeader> <text> <body> Einleitung 9 <lb/>
die Vorliebe, mit der gerade die Gerichtsszenen im Somvixer Passionsspiele <lb/>
behandelt werden. <lb/>
Wir hören noch die Linde über die Gauversammlung hinrauschen; <lb/>
es wiederholen sich die alten Formeln, in denen im Ring Recht gesprochen <lb/>
wurde. Wohl bestehen Beziehungen zwischen den „Caussas de dertgira“ <lb/>
und den Rechtsregeln der Passion. Wenn Dr. Tuor auf diese Bezugnahme <lb/>
verweist 1), so wird er kaum einem Widerspruch begegnen; so <lb/>
das Zeugeneinvernehmen nicht einer der deutschen Darstellungen des <lb/>
Prozesses gegen den Herrn entnommen ist. Wenn er aber die Vermutung <lb/>
ausspricht, der Übersetzer dieser deutschen Rechtsbelehrung habe mit <lb/>
Verachtung auf die alten Formeln herabgeschaut 2), so kommt uns dies <lb/>
unbegreiflich vor. Gerade das Gegenteil lässt sich aus jener peinlichen <lb/>
Sorgfalt schliessen, mit welcher der Übersetzer dort verfährt, <lb/>
wo in der Frage der Zulassung von Zeugen das übersetzte Rechtsbuch <lb/>
vom Rechtsbrauch des Hochgerichtes Disentis abweicht. … Das ist <lb/>
ein starker Beweis dafür, dass das heimische Recht in der Hochschätzung <lb/>
der Gebildeten weiterlebte. Der Übersetzer der „Caussas da dertgira“ befindet <lb/>
sich auf dem gleichen Standpunkte, wie die vielen an den Hochschulen <lb/>
der damaligen Zeit gebildeten Juristen, die das Amt eines Landschreibers <lb/>
verwalteten. Sie alle haben zwar, wo das Weisstum des Kreises nicht <lb/>
ausreichte, anderswo Rechtsbelehrung gesucht; aber sie alle verehrten in <lb/>
der Rechtsordnung der Heimat das „Recht der Ahnen“ und nichts lag <lb/>
ihnen ferner als die hochfahrende Absicht, das heimische Recht durch <lb/>
fremdes zu verdrängen und zu ersetzen. Daran zweifeln wollen, hiesse <lb/>
jene Kraft verkennen, die als Volkssitte stark genug war, alle im Banne <lb/>
der gleichen Lieder zu halten und alle zu den gemeinsamen Tanzveranstaltungen, <lb/>
den Gemeindetänzen, zu führen; wie sie der heimatlichen Sitte gehorchten, <lb/>
so beugten sich alle vor dem eigenen Rechte. Das erklärt uns <lb/>
denn auch, wie in der Somvixer Passion, obwohl die Vorstellung des alten <lb/>
Strafgerichtes, wo das Volk der drei Bünde in Waffen Recht sprach, sich <lb/>
aufdrängte, dennoch der Herr gerade nach dem Rechte des Hochgerichtes <lb/>
Disentis gerichtet wird. Dieser Umstand allein bekundet zur Genüge die <lb/>
kräftige Ursprünglichkeit und das echte warme Leben, diese wesentlichen <lb/>
Eigentümlichkeiten, die dem Somvixer Passionsspiel seinen kostbaren Erdgeruch <lb/>
verleihen. <lb/>
Ein Vergleich des Kriminalprozesses, der dem letzten Redaktor des <lb/>
Passionsspieles vorschwebte, mit dem Kriminalprozess, wie er in der Mitte <lb/>
1) Igl Ischi IX: Co dertgaven nos babuns sur malfatgs? … Da Dr. P. Tuor, p. 150. <lb/>
2) Ibid. p. 89. </body> </text></TEI>