Band: XIII

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In Band XIII liegen die Seitenzahlen zwischen 7 und 246.
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La Passiun da Somvitg
des 17. Jahrhunderts im Lugnez üblich, und mit den „Caussas de dertgira“ 1)
lässt uns mit ziemlicher Sicherheit behaupten, dass diese letzte Redaktion
in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts fallen dürfte.
Für diese Datierung der letzten Redaktion wichtig ist auch die Art,
wie im Spiele von den Hexen gesprochen wird. Die Hexen sollen an
bestimmten Tagen besondere Macht haben und ihr Unwesen treiben. In
der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts hatte der epidemisch um sich
greifende Hexenglaube im Hochgerichte Disentis zahlreiche Opfer gefordert.
Die selbst für jene Zeit brutale Art, wie die Folter zur Verwendung kam,
erklärt uns, dass nur sehr wenige den grässlichen Qualen widerstehen
und dem Tod entrinnen konnten 2). Selbst der Disentiser Abt Adalbert
de Medel, der seine theologischen Studien in Rom gemacht hatte und für
die unglücklichen Opfer eintrat, wurde als ein Freund böser Zauberei betrachtet 3).
Wahrscheinlich dauerten die Hexenprozesse ähnlich wie in
Ilanz bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts. Starb ja noch im Februar
1700 Christ Mathiu von Kästris, wegen Hexerei angeklagt, infolge wiederholter
Folterung im Gefängnis 4). Wir dürfen wohl annehmen, dass man
sich wenigstens bei den Gebildeten in den letzten Jahrzehnten des
18. Jahrhunderts des Hexenglaubens schämte, da eine Reaktion eingetreten
war; daher hätte ein gleichzeitiger Redaktor des Passionsspieles
kaum so über die Hexen sprechen lassen, wie es geschieht.
Wir haben aber noch einen stärkeren Beweis dafür, dass die letzte
Redaktion des Passionsspieles sehr wahrscheinlich in die erste Hälfte des
18. Jahrhunderts fällt. Infolge des unglücklichen Ausganges des Zehntenstreites
und der Zuteilung der Kosten des langwierigen Handels brach in
der Familie de Latour Streit aus und einige jüngere Mitglieder derselben
schlossen sich der österreichischen Partei an. Diese werden von der französischen
Partei „Separatisten“ genannt. Die gleiche Bezeichnung lässt der
letzte Redaktor des Passionsspieles die Pharisäer gegen die Anhänger Jesu
anwenden. In dem össterreichisch gesinnten Somvix, wie bei den
katholischen Oberländern überhaupt wird man die Anspielung verstanden
1) Wir geben diese beiden interessanten Rechtsdenkmäler im Anhang vollständig
als Beilage A und B wieder.
2) A° 1667 19 febr.
Ei ad ina femna de Tujetsch vigniu dau dilg Obr. in attestat, ca esend
ella stada pigliada e stau ora la tortura, sche dei quej ni ad ella ni alla Barentella
pude veigni traitg si. Decrets da Cumin p. 6.
3) Synopsis Annalium Monasterii Disertinensis, Handschrift im Archiv
des Klosters Dissentis.
4) Prozessakten des Hochgerichtes Ilanz.
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