<TEI> <teiHeader> <fileDesc> <titleStmt> <title type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition>Digitalisierte Ausgabe</edition> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">1</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Köln</pubPlace> <publisher> <orgName>Sprachliche Informationsverarbeitung, Universität zu Köln</orgName> <email>buero@spinfo.uni-koeln.de</email> <address> <addrLine>Albertus-Magnus-Platz</addrLine> <addrLine>50923 Köln</addrLine> </address> </publisher> <availability> <licence target="http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/de/"> <p>Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.</p> </licence> </availability> </publicationStmt> <sourceDesc> <bibl>Decurtins, Caspar: Rätoromanische Chrestomathie</bibl> <biblFull> <titleStmt> <title level="m" type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition n="1"/> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">7260</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Erlangen</pubPlace> <publisher> <name>Vollmöller, Karl</name> </publisher> </publicationStmt> </biblFull> <msDesc> <msIdentifier> <repository>Digizeitschriften.de</repository> </msIdentifier> <physDesc> <typeDesc> <p>Chrestomatie</p> </typeDesc> </physDesc> </msDesc> </sourceDesc> </fileDesc> <encodingDesc> <p>Dieses Werk wurde in XML/TEI P5 kodiert.</p> </encodingDesc> <profileDesc> <langUsage> <language>Rhaeto Romanic</language> </langUsage> <textClass></textClass> </profileDesc> </teiHeader> <text> <body> 6 <lb/>
La Passiun da Somvitg <lb/>
… ihren Einfluss auf die Politik der drei Bünde aus, in welchen <lb/>
man eine österreichische, spanische und venetianische Partei kannte. <lb/>
In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts war das Land durch die <lb/>
religiös - politischen Kämpfe erschöpft und man suchte in einer ängstlich <lb/>
abgezirkelten Parität die so nötige Ruhe. Freilich begegnen wir noch <lb/>
beim Ausgang des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts gerade im <lb/>
Hochgerichte Disentis, mit seiner geweckten, freiheitsstolzen Bevölkerung, <lb/>
Kämpfen, die durch ihre leidenschaftliche Wildheit an die früheren bösen <lb/>
Zeiten erinnern, da die allerschlimmste politische Leidenschaft sich das <lb/>
Kleid des Richters umwarf und über die politischen Gegner Tod und Verderben <lb/>
brachte. <lb/>
Es ist daher kein Zufall, wenn das bedeutendste Erzeugnis volkstümlicher <lb/>
Dramatik bei den Rätoromanen in Somvix entstand; war ja gerade <lb/>
diese Gemeinde noch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts der <lb/>
Schauplatz eines leidenschaftlichen Kampfes, indem die religiösen und politischen <lb/>
Gegensätze, wie sie die bündnerische Politik des 16. Jahrhunderts <lb/>
beherrscht hatten, noch einmal aufflackerten. Im Landrichter Nicolaus <lb/>
Maissen 1) hatte ein Sohn des Volkes sich eine Stellung neben den führenden <lb/>
aristokratischen Geschlechtern errungen. Zu diesen sozialen Gegensätzen <lb/>
gesellten sich die politischen, indem Maissen ein Anhänger Österreichs <lb/>
war, während die Castelberg und Latour, die bis dahin das Hochgericht <lb/>
Disentis ausschliesslich beherrscht hatten, damals zur französischen Partei <lb/>
gehörten. <lb/>
In den religiösen Fragen unterstützte Maissen den energischen und <lb/>
grosszügigen Pfarrer und späteren Domherrn Mathias Sgier, einen kraftvollen <lb/>
Spätgeborenen der katholischen Gegenreformation. Das war für <lb/>
Nicolaus Maissen eine Allianz, die ihm wahre Grösse hätte verschaffen <lb/>
können; aber Geiz und Gewalttätigkeit des Mannes boten den aristokratischen <lb/>
Familien, der französischen Partei und dem Abte von Disentis <lb/>
Adalbert II. de Medel, der auch ein Anhänger Frankreichs war, eine <lb/>
Gelegenheit, den mächtig gewordenen Bauernsohn … zu stürzen. Der Prozess <lb/>
und Tod Maissens versetzte die Gemeinde Somvix in eine jahrelange gewaltige <lb/>
Aufregung. Die Steinplatte, die das Grab des gewaltigen Somvixers <lb/>
… in der Kathedrale zu Chur deckte, vermochte es nicht, sich über <lb/>
die Erregung des Volkes auszudehnen. Die höchste Würde, die von der <lb/>
Talgemeinde Disentis zu vergeben ist, die Misterlia, wurde Adalbert, dem <lb/>
jugendlichen Sohn des Geächteten und Ermordeten, <lb/>
übertragen 2). <lb/>
1) C. Decurtins, Landrichter Nikolaus Maissen. <lb/>
2) P. Maurus Carnot hat die tragische Gestalt des Landrichters Maissen in <lb/>
seinem prächtigen Trauerspiel „Clau Maissen“ behandelt. Wir möchten dieses </body> </text></TEI>