Band: XIII

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In Band XIII liegen die Seitenzahlen zwischen 7 und 246.
Einleitung 11
und freudig aufgenommen haben. Da diese Bezeichnung weder vorher
noch nachher gebräuchlich war, dient sie als Wegweiser zur Zeitbestimmung
der letzten Redaktion unseres Passionsspieles.
Noch vor etwa 40 Jahren hörten wir aus dem Munde alter Männer
und Frauen, die vom Somvixer Passionsspiele erzählten, immer wieder die
Beteuerung, die rachsüchtigen Gegner hätten als Darsteller der Juden den
Darsteller des Herrn so misshandelt, dass dieser infolge der erhaltenen
„unredlichen Schläge“ (malreclias fridas) bald gestorben sei; deshalb erschien
in den Quatembernächten auf dem Hügel Tresch ein Licht, wo das
Kreuz gestanden hat. Wir bezogen diese Sage auf den Darsteller des
Herrn bei der letzten Aufführung der Passion. Da dieser aber Georg
Joseph Cajacob von Compadials - Somvix, — Statthalter „Sepp“, wie
er vom Volke genannt wurde — am 8. April 1770 geboren, am 1. Juni
1859 starb, kann er nicht der Darsteller des Herrn gewesen sein, von dem
die Sage zu erzählen weiss. Die Männer und Frauen, die uns von jenem
Darsteller erzählten, sprachen aber wie von einem Ereignis, das sie noch
damals offenbar seelisch bewegte.
Eine Tradition über das Lumbreiner Passionsspiel erzählt, nach der
Aufführung des Spieles 1720 hätten auch die Somvixer eine Passion aufgeführt,
und zwar „viel stolzer“. Der uns vorliegende Text würde den
Jahren 1740 — 1750 entsprechen, indem die Anspielung auf religiöse und
politische Fragen und Verhältnisse den Zuständen in der Cadi in der
ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entspricht. Die Eingabe der führenden
Männer in den Cadi an die Kompromissrichter im Zehntenstreit, … datiert
vom 5. März 1737 1), die Klagen der Landschaft gegen die Abtei Disentis
enthaltend, scheint uns im Somvixer Passionsspiel ein Echo gefunden zu
haben, das damals deutlich und scharf genug tönte, so harmlos uns heute
die Anspielungen vorkommen mögen. Wenn wir annehmen, dass man
den Text unverändert bis 1813 bewahrt hat, so erklärt sich die sonst
befremdende Tatsache, dass wir im Text gar keine Anspielung finden auf die
Nichtwiederwahl der Patres Kapuziner als Pfarrer und Helfer 2), auf die brutale
Ausweisung derselben aus dem Pfarrhaus, auf Ereignisse, die so tief die
Gemeinde Somvix aufregten und die Volksseele noch im 19. Jahrhundert
beschäftigten. Ebenso findet sich keine Anspielung auf die Standesversammlung
und die Strafgerichte des Jahres 1793, die im obern Oberlande
so grosse Hoffnungen geweckt hatten 3), noch auf den Einfall der Franzosen
1) Im bischöflichen Archiv.
2) Beilage C.
3) Igl Ischi II: C. Decurtins, Landrichter Theodor de Castelberg
p. 20 — 27.
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