Band: XIII

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In Band XIII liegen die Seitenzahlen zwischen 7 und 246.
Einleitung 5
Worte folgen wahrscheinlich derselben älteren Vorlage. Die Szenen, die
Jesum vor den Hohenpriestern, vor Pilatus und Herodes behandeln, nehmen
den übergrossen Teil des Passionsspieles ein. Wenn wir sie begreifen
wollen, müssen wir einen Blick auf die Geschichte der Talgemeinde Disentis,
des alten Hochgerichtes, werfen.
Das vom Mönche Sigisbert gegründete Kloster Disentis wurde und
blieb nicht nur das Zentrum des religiösen und geistigen Lebens überhaupt
im Bündner Oberlande, sondern erwarb sich auch die Herrschaft,
wie die hohe und niedere Gerichtsbarkeit über die Talgemeinde Disentis
vom Lukmanier und der Oberalp abwärts bis zur Ringgenberger Brücke.
Nach der Ermordung des Abtes Jacob II. von Planaterra im Walde
von Bargiera begann die Talgemeinde Disentis den Kampf um die politische
Selbständigkeit und eigene Gerichtsbarkeit, der bereits am Ende des
14. Jahrhunderts zugunsten der Gemeinden entschieden war. Die kluge
und weitausschauende Politik des Disentiser Abtes Peter von Pontaningen
gab unter dem Ahorn zu Truns 1424 der politischen Neubildung an den
Quellen des Rheines
im „grauen Bund“ eine feste Gestalt. Später verband
sich der graue Bund mit der Stadt Chur und den freien Gemeinden
an den Quellen des Inns, die sich zum Gotteshausbunde zusammengetan
hatten, und mit den Gemeinden des Zehngerichtenbundes zum Staat der
drei Bünde. Mit der jungen Eidgenossenschaft verbunden, schlugen die
drei Bünde die Schlacht an der Calven, wodurch die staatliche Unabhängigkeit
besiegelt und das trotzige Selbstbewusstsein gesteigert wurde. Dem
Gefühle ihrer Kraft und kriegerischen Überlegenheit entsprang die Eroberung
des Veltlins. Und da die karge Natur des Landes der rasch anwachsenden
Bevölkerung den Unterhalt versagte, zog die kraftstrotzende
Jugend in fremde Dienste. So finden wir im 16. Jahrhundert zahlreiche
Bündner im Dienste Frankreichs und Spaniens, unter den Fahnen des
Kaisers und der Republik Venedig.
Als dann das 16. Jahrhundert die abendländische Glaubensspaltung …
brachte, wurden die religiösen Kämpfe mit einem Ingrimm und einer
Wildheit geführt, dass sich die rauhe und düstere Natur der Felsengebirge
im geistigen Kampfe wiederzuspiegeln schien. Reformation und Gegenreformation
wurden im eigentlichen Sinne Sache des Volkes, indem in
jeder einzelnen, in Religionsangelegenheit souveränen Gemeinde der nicht
selten blutige Streit ausgetragen wurde.
Dazu gesellten sich die Kämpfe der Grossmächte um die Bergpässe,
die dem Staate der drei Bünde eine internationale Bedeutung verliehen.
Durch ihre Gesandten übten Österreich, Frankreich und Spanien, wie auch
die Republik Venedig, die alle an ihre Anhänger reiche Pensionen verteilten,
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