Band: XIII

Seite: 221 Zur Bandauswahl

In Band XIII liegen die Seitenzahlen zwischen 7 und 246.
Blutrache und Sühneversuch 221
Untersuchung vorzunehmen. Drei Tage nachher wurde Herr Johann de
Florin vorgeladen, angeklagt, untersucht und zu folgender Strafe verurteilt:
… Herr Johann de Florin soll auf ein Jahr und einen Tag verbannt
sein aus dem Lande ob dem
Wald 1),
jedoch mit der Einschränkung, daß
es ihm erlaubt sei, in eigenen Angelegenheiten, oder um dem Abte Lucius
Rechenschaftsbericht zu erstatten, nach Disentis zurückzukehren und sich
dort zwei, drei oder auch vier Tage aufzuhalten. Er soll aber nur bei
Halbdunkel kommen und bei Halbdunkel wieder verreisen und sich nirgends
öffentlich zeigen. Wenn er in den Tagen seines Aufenthaltes in Disentis
in das Kloster hinaufgehen will, so soll er hin und zurück den hinteren
Weg benützen. Die Freunde des Getöteten sollen weder auf der Gasse
noch in Häusern, weder zu Chur noch anderswo im Bund ihn belästigen
oder ihm etwas in den Weg legen. Dem Wilhelm Fravi, Vater des Getöteten,
… soll er auf den 1. Juli 200 Goldgulden zu zahlen verpflichtet sein.
Alle Kosten und Spesen, die von den Herren in dieser Angelegenheit
gemacht worden sind, hat er zu tragen. Auch soll er dem Wilhelm zwei
weitere Reichsgulden verabfolgen, um so viele Messen für die Seelenruhe
des Toten bestellen zu können; auch soll er zum Heil der Seele des
Toten verpflichtet sein, einen Sack Salz von 16 Curtaunen den Armen
auszuteilen und ein ganzes Jahr bei Tag und Nacht an jedem Samstag
ein Licht oder eine brennende Ampel in der Kirche zu erhalten. Überdies
… soll er verpflichtet sein, an den Samstagen des ganzen Jahres (in
der Kirche) für den Toten beten zu lassen! Dagegen sollen die Freunde
des Toten dem Herrn Johann de Florin keinen Schaden und nichts Übles
zufügen“ 2).
Dieses Urteil, das der romanische Chronist für wichtig genug hält,
vollständig wiederzugeben, hat offenbar die Zeitgenossen viel beschäftigt.
Wir gewinnen aus demselben den Eindruck, als haben die Freunde und
Parteigenossen des einflußreichen de Florin die Rache von seiten der Sippe
des Getöteten gefürchtet; das erklärt uns die sofort angestellte Untersuchung
und die rasche Besammlung des Gerichtes, das mit dem Zusatz aus vierzig
Richtern bestand; das Urteil ist ein Taidingsbrief, der den Erben aufgezwungen
… wurde, um die offenbar zahlreiche und mächtige Sippschaft des
Getöteten in Schranken zu halten.
Wir finden sodann im Urteil das Licht, die Spende zu frommen
Zwecken und die Andacht für die Toten erwähnt, wie Paul Frauenstädt
1)
Bildete die Surselva („Sur igl uaul“), der wir sonst in Gerichtsakten nie
begegnen und die auch im späteren Mittelalter nie ein Hochgericht war, in
fränkischer Zeit ein eigenes Gericht?
2) Cuorta Memoria, S. 225ff. …
<TEI> <teiHeader> <fileDesc> <titleStmt> <title type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition>Digitalisierte Ausgabe</edition> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">1</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Köln</pubPlace> <publisher> <orgName>Sprachliche Informationsverarbeitung, Universität zu Köln</orgName> <email>buero@spinfo.uni-koeln.de</email> <address> <addrLine>Albertus-Magnus-Platz</addrLine> <addrLine>50923 Köln</addrLine> </address> </publisher> <availability> <licence target="http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/de/"> <p>Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.</p> </licence> </availability> </publicationStmt> <sourceDesc> <bibl>Decurtins, Caspar: Rätoromanische Chrestomathie</bibl> <biblFull> <titleStmt> <title level="m" type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition n="1"/> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">7260</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Erlangen</pubPlace> <publisher> <name>Vollmöller, Karl</name> </publisher> </publicationStmt> </biblFull> <msDesc> <msIdentifier> <repository>Digizeitschriften.de</repository> </msIdentifier> <physDesc> <typeDesc> <p>Chrestomatie</p> </typeDesc> </physDesc> </msDesc> </sourceDesc> </fileDesc> <encodingDesc> <p>Dieses Werk wurde in XML/TEI P5 kodiert.</p> </encodingDesc> <profileDesc> <langUsage> <language>Rhaeto Romanic</language> </langUsage> <textClass></textClass> </profileDesc> </teiHeader> <text> <body> Blutrache und Sühneversuch 221 <lb/>
Untersuchung vorzunehmen. Drei Tage nachher wurde Herr Johann de <lb/>
Florin vorgeladen, angeklagt, untersucht und zu folgender Strafe verurteilt: <lb/>
… Herr Johann de Florin soll auf ein Jahr und einen Tag verbannt <lb/>
sein aus dem Lande ob dem <lb/>
Wald 1), <lb/>
jedoch mit der Einschränkung, daß <lb/>
es ihm erlaubt sei, in eigenen Angelegenheiten, oder um dem Abte Lucius <lb/>
Rechenschaftsbericht zu erstatten, nach Disentis zurückzukehren und sich <lb/>
dort zwei, drei oder auch vier Tage aufzuhalten. Er soll aber nur bei <lb/>
Halbdunkel kommen und bei Halbdunkel wieder verreisen und sich nirgends <lb/>
öffentlich zeigen. Wenn er in den Tagen seines Aufenthaltes in Disentis <lb/>
in das Kloster hinaufgehen will, so soll er hin und zurück den hinteren <lb/>
Weg benützen. Die Freunde des Getöteten sollen weder auf der Gasse <lb/>
noch in Häusern, weder zu Chur noch anderswo im Bund ihn belästigen <lb/>
oder ihm etwas in den Weg legen. Dem Wilhelm Fravi, Vater des Getöteten, <lb/>
… soll er auf den 1. Juli 200 Goldgulden zu zahlen verpflichtet sein. <lb/>
Alle Kosten und Spesen, die von den Herren in dieser Angelegenheit <lb/>
gemacht worden sind, hat er zu tragen. Auch soll er dem Wilhelm zwei <lb/>
weitere Reichsgulden verabfolgen, um so viele Messen für die Seelenruhe <lb/>
des Toten bestellen zu können; auch soll er zum Heil der Seele des <lb/>
Toten verpflichtet sein, einen Sack Salz von 16 Curtaunen den Armen <lb/>
auszuteilen und ein ganzes Jahr bei Tag und Nacht an jedem Samstag <lb/>
ein Licht oder eine brennende Ampel in der Kirche zu erhalten. Überdies <lb/>
… soll er verpflichtet sein, an den Samstagen des ganzen Jahres (in <lb/>
der Kirche) für den Toten beten zu lassen! Dagegen sollen die Freunde <lb/>
des Toten dem Herrn Johann de Florin keinen Schaden und nichts Übles <lb/>
zufügen“ 2). <lb/>
Dieses Urteil, das der romanische Chronist für wichtig genug hält, <lb/>
vollständig wiederzugeben, hat offenbar die Zeitgenossen viel beschäftigt. <lb/>
Wir gewinnen aus demselben den Eindruck, als haben die Freunde und <lb/>
Parteigenossen des einflußreichen de Florin die Rache von seiten der Sippe <lb/>
des Getöteten gefürchtet; das erklärt uns die sofort angestellte Untersuchung <lb/>
und die rasche Besammlung des Gerichtes, das mit dem Zusatz aus vierzig <lb/>
Richtern bestand; das Urteil ist ein Taidingsbrief, der den Erben aufgezwungen <lb/>
… wurde, um die offenbar zahlreiche und mächtige Sippschaft des <lb/>
Getöteten in Schranken zu halten. <lb/>
Wir finden sodann im Urteil das Licht, die Spende zu frommen <lb/>
Zwecken und die Andacht für die Toten erwähnt, wie Paul Frauenstädt <lb/>
1) <lb/>
Bildete die Surselva („Sur igl uaul“), der wir sonst in Gerichtsakten nie <lb/>
begegnen und die auch im späteren Mittelalter nie ein Hochgericht war, in <lb/>
fränkischer Zeit ein eigenes Gericht? <lb/>
2) Cuorta Memoria, S. 225ff. … </body> </text></TEI>