<TEI> <teiHeader> <fileDesc> <titleStmt> <title type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition>Digitalisierte Ausgabe</edition> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">1</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Köln</pubPlace> <publisher> <orgName>Sprachliche Informationsverarbeitung, Universität zu Köln</orgName> <email>buero@spinfo.uni-koeln.de</email> <address> <addrLine>Albertus-Magnus-Platz</addrLine> <addrLine>50923 Köln</addrLine> </address> </publisher> <availability> <licence target="http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/de/"> <p>Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.</p> </licence> </availability> </publicationStmt> <sourceDesc> <bibl>Decurtins, Caspar: Rätoromanische Chrestomathie</bibl> <biblFull> <titleStmt> <title level="m" type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition n="1"/> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">7260</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Erlangen</pubPlace> <publisher> <name>Vollmöller, Karl</name> </publisher> </publicationStmt> </biblFull> <msDesc> <msIdentifier> <repository>Digizeitschriften.de</repository> </msIdentifier> <physDesc> <typeDesc> <p>Chrestomatie</p> </typeDesc> </physDesc> </msDesc> </sourceDesc> </fileDesc> <encodingDesc> <p>Dieses Werk wurde in XML/TEI P5 kodiert.</p> </encodingDesc> <profileDesc> <langUsage> <language>Rhaeto Romanic</language> </langUsage> <textClass></textClass> </profileDesc> </teiHeader> <text> <body> 220 <lb/>
Blutrache und Sühneversuch <lb/>
in der „Cuorta Memoria“. Beim Abte Lucius Anrich erzählt der Chronist, <lb/>
wie der einflußreiche Landrichter Johann de Florin, … der Führer der Oberländer <lb/>
Katholiken, Kastenvogt des Klosters Disentis, als er vom Konzil <lb/>
von Trient heimkehrte, von einem fatalen Ereignis betroffen wurde. <lb/>
Als er einst am späten Abend sein Haus verschlossen fand und <lb/>
durch eine höher gelegene Türe Eingang suchte und die Mauer bestieg, <lb/>
traf ihn ein aus einem Hinterhalte geworfener Stein so heftig in die Hüfte, <lb/>
daß der Getroffene zu Boden fiel. Als er sich nach einer Weile erholte <lb/>
und aufstehen wollte, ward ein zweiter Stein geschleudert, der ihn am <lb/>
Kopfe traf und ihn erschlagen hätte, wenn nicht der Hut die Wirkung <lb/>
des Wurfes etwas zurückgehalten hätte. Da warf de Florin aufs Geratewohl <lb/>
einen Stein zurück, da er bei der dichten Finsternis den Angreifer <lb/>
nicht hatte erkennen können und traf seinen eigenen Knecht Martin <lb/>
Fravi, der tot auf dem Platze blieb 1). <lb/>
War der Knecht der Schuldige und de Florin in gerechter <lb/>
Notwehr 2) <lb/>
oder spielte ein unglücklicher Zufall mit? Da die Prozeßakten beim Brande <lb/>
von Disentis i. J. 1799 zerstört worden, lassen sich nur Vermutungen <lb/>
anstellen. <lb/>
Wie die Chronik erzählt, „entstand sofort ein gewaltiger Lärm und <lb/>
das Volk eilte in großer Zahl zur Unglücksstätte. Schon am darauffolgenden <lb/>
Morgen versammelten sich 14 Herren der Obrigkeit, um eine <lb/>
1) Decurtins, Quattro testi soprasilvani im Archivio Glottologico italiano, <lb/>
Volume settimo, Puntata seconda. Das noch erhaltene Haus ist auf zwei Seiten <lb/>
mit gotischen Würfeln grau und weiß bemalt und zeigt an der Fassade in einem <lb/>
großen Gemälde Gott Vater, wie er das Kreuz mit dem Welterlöser in den <lb/>
Armen hält. Vgl. Neue Alpenpost, 1881, N. 18, S 141. <lb/>
2) Fabritius schreibt an Bullinger, 20. Mai 1562: „Ir wüssend, das in dem <lb/>
Obern Pundt 2 fürnemm Männer gesyn, die es am gut vnd verstand den andern <lb/>
wyt vorthund, alter Cabalzar, alter Johann Floryn von Disitis. Die hand bisshar <lb/>
… in dem Obern Pundt dem Pabst vnd den V Pagis ir sach gefürt. Doch <lb/>
sind sy diss jar gar zimlich gefaren, hand sich in vilen Stuken fründtlich erzeigt <lb/>
(sed tarnen is Florinus est, qui autor fuit, ut ejiceretur Beccaria). Jetz ist man <lb/>
letstlich in dem Oberen Pundt zu tagen by einandern gesyn. Ist Cabalzar <lb/>
landtrichter worden, vnd als er heymkommen, ist er mit sinem Nachpuren in <lb/>
zerwüffnus kommen, der jnn biss vf den tod geschlagen, ettliche zähn vss, vnd <lb/>
den Bart vssgeroufft, also das man achtet, er werde zu tagen nit mehr gebrucht <lb/>
werden. Als aber Houptmann Floryn heymkommen (sol ein wyb von Vri han, <lb/>
der sol er vor dem knächt gefürcht han) hat er in einer zerwürffnus den <lb/>
knecht mit einem Stein zu tod geworffen. Ist der handel berächtet. Sol der <lb/>
Houptmann 200 Fl. des endtlybten fründtschaft geben, vnd 1 jar leisten. Haec <lb/>
ideo scribo, das ir sächind, wie der Tüffel ouch sine Märtyrer habe. Simml. S.“ <lb/>
Die evangelische Gemeinde in Locarno, ihre Auswanderung und ihre weitern <lb/>
Schicksale von Ferdinand Meyer II, S. 234f. </body> </text></TEI>