<TEI> <teiHeader> <fileDesc> <titleStmt> <title type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition>Digitalisierte Ausgabe</edition> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">1</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Köln</pubPlace> <publisher> <orgName>Sprachliche Informationsverarbeitung, Universität zu Köln</orgName> <email>buero@spinfo.uni-koeln.de</email> <address> <addrLine>Albertus-Magnus-Platz</addrLine> <addrLine>50923 Köln</addrLine> </address> </publisher> <availability> <licence target="http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/de/"> <p>Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.</p> </licence> </availability> </publicationStmt> <sourceDesc> <bibl>Decurtins, Caspar: Rätoromanische Chrestomathie</bibl> <biblFull> <titleStmt> <title level="m" type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition n="1"/> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">7260</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Erlangen</pubPlace> <publisher> <name>Vollmöller, Karl</name> </publisher> </publicationStmt> </biblFull> <msDesc> <msIdentifier> <repository>Digizeitschriften.de</repository> </msIdentifier> <physDesc> <typeDesc> <p>Chrestomatie</p> </typeDesc> </physDesc> </msDesc> </sourceDesc> </fileDesc> <encodingDesc> <p>Dieses Werk wurde in XML/TEI P5 kodiert.</p> </encodingDesc> <profileDesc> <langUsage> <language>Rhaeto Romanic</language> </langUsage> <textClass></textClass> </profileDesc> </teiHeader> <text> <body> 160 <lb/>
Einleitung <lb/>
immer näher heran, bis er zuletzt an einen bereitgestellten Tisch herantrat, <lb/>
auf dem ein Glas Wasser und ein Glas Wein standen. Das Glas mit dem <lb/>
Wasser kostete er zuerst, liess es aber wieder stehen, trank den Wein aus <lb/>
und schlug das Wasserglas von dem Tische herunter und flüchtete wieder <lb/>
eiligst dem Walde zu, konnte ihn aber nicht mehr erreichen; denn ein <lb/>
Schuss aus der Büchse des Brautführers streckte ihn zu Boden. Darauf <lb/>
erhob er ein furchtbares Gebrüll und rief unausgesetzt: „Mein Weib, mein <lb/>
Weib.“ Nun begaben sich der Brautführer und die Braut zu ihm und die <lb/>
Braut verband ihm mit einem weissen Tuche die Wunde am Fusse und <lb/>
sie führten ihn dann auf den Spielplatz zurück, wo dann ein eiserner Pflock <lb/>
in das hintere Ende des Blockes hineingetrieben und der wilde Mann <lb/>
mittelst einer langen eisernen Kette angehängt wurde. Jetzt spannten sich <lb/>
die Burschen, etwa 15 Paare, vor den Schlitten und der Zug setzte sich <lb/>
in Bewegung. Der angehängte wilde Mann gebärdete sich nun wie toll, <lb/>
und versuchte fortwährend den Zug zum Stehen zu bringen, indem er jeden <lb/>
Gegenstand am Wege benutzte, um die lange Kette, mit der er angebunden <lb/>
war, um denselben zu schlagen. Wäre ihm dieses Manöver gelungen, so <lb/>
wäre der Block sein Eigentum gewesen. Vorn auf dem Block stand der <lb/>
festlich geschmückte Fuhrmann und knallte mit der Peitsche. <lb/>
Beim alten Schiessstand wurde dann der Block zurückgelassen, der <lb/>
wilde Mann aber an der Kette bis nach Compatsch geführt. Dort wurde <lb/>
er dann von zwei in schwarzen Frack gekleideten Rasierern auf dem Hauptplatz <lb/>
rasiert. Nachher wurde ihm noch „Ader gelassen“, indem ein in <lb/>
seinem Rockärmel eingenähter und mit Blut gefüllter Darm mittelst eines <lb/>
spitzigen Messers aufgestochen wurde, sodass das Blut in grossen Bogen <lb/>
aufspritzte. Nun führten noch der wilde Mann und die Braut einen Tanz <lb/>
auf und das Spiel war zu Ende. Für den Rest des Tages gehörte nun <lb/>
aber die Braut dem wilden Manne. <lb/>
Der Block aber und die übrigen Teile des mächtigen Stammes wurden <lb/>
nun öffentlich versteigert und aus dem Erlös verschafften sich die Spieler <lb/>
einige lustige Abende oder Marenden. — <lb/>
Aus den Erinnerungen alter Leute, die Herr Anton Jenal cand. phil. <lb/>
für uns in Samnaun gesammelt, geht hervor, dass auch eine Hexe mit einer <lb/>
Wasserspritze, welche die Umstehenden bespritzte, und ein Maskute, welcher <lb/>
ein Weib in einem Korbe trug, sich im Zuge des wilden Mannes befanden. <lb/>
Auch in Truns suchte am letzten Fastnachtstage die erwachsene <lb/>
Jugend den wilden Mann im Walde auf. Dieser war wieder über und über <lb/>
mit Tannenzweigen und Tannenbart bedeckt. Gefangen genommen, wurde <lb/>
er auf einem Schlitten zur Schaulust aller durchs Dorf geführt 1). <lb/>
1) Bd. II, p. 224. </body> </text></TEI>