Band: XIII

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In Band XIII liegen die Seitenzahlen zwischen 7 und 246.
Einleitung 161
Das ursprüngliche Ende des wilden Mannes war wohl das Erstochenwerden,
das später in einen Aderlass umgewandelt wurde, während anderswo
andere Todesarten eintraten: in Böhmen durch den Scharfrichter, zu
Scheibenberg im Erzgebirge durch Erstechen und Erschiessen 1).
In Sins - Engandin machen die Knaben noch jetzt am 2. Februar
einen Schneemann, den sie mit Tannenzweigen und Tannenbart
schmücken 2).
An die Hexe mit der Wasserspritze erinnert uns ein Brauch im Unterengadin,
… dass nämlich am Johannistag im Sommer die Knaben mit Wasserspritzen
die Mädchen verfolgen 3).
In Vrin - Lungnez hat sich der Maskierte, der das Weib in einem Korbe
trug, in der ursprünglichen Gestalt erhalten, ein Bursche trägt dort ein
Mädchen in einer Kornwanne, was eine besondere Bedeutung haben mag,
indem das Aschenbrödel unter der Kornwanne (La Schenderletga sut il von)
eine bekannte Figur des rätoromanischen Märchens ist 4).
Noch im 15. Jahrhundert herrschte im Bündner Oberland ein Brauch, der
wohl auch aus dem Glauben an den Vegetationsdämon seine Erklärung findet.
Der Chronist Tschudi, mit Land und Volk der drei Bünde vertraut, erzählt:
„In obgedachter Riuier der Etuatiern, zuo ylantz, Lugnitz, und in der
Gruob ist, der sitt von heydnischen zyten harkomen, das sy zuo ettlichen
jaren gemein versamlungen hond, verbutzend sich, legend harnasch und
gwœr an, unnd nimpt yeder ein starken grossen stecken, oder knüttel, ziehend
also in einer harscht mit einnandren von eim dorff zum andern, thuoond
hoch sprüng und seltsam abenthür, als sy by warheyt veriehend, das sy
sœllich sprüng, nach hinthueung jrer harnisch, und endung jrs fürnemens,
sollicher hœhe uñ wyte niendert gethuon mœgend. Sy louffend starcks
anlouffs in einandren, stossend, und putschend mit krefften, ye einer den
anndern, das es erhilt, sy stopffend lut mit jren grossen stecken, dañenthar
werdend sy daselbßzuoland die stopffer genempt, sy thuonds das jnē jr,
korn desterbaß geraten sol, haltend also disen aberglouben 5).
Der rätische Chronist Ulrich Campell, der die Stopfer gesehen, beschreibt
ihren Umzug. Mit dem Sagenkreis, den die Jahrhunderte um die
Stopfer gewoben, bekannt, führt er ihr bacchantisches Tun auf dämonische
Einflüsse zurück. (Beilage A.)
1) Mannhardt, Der Baumkultus, p. 336.
2)
Mitteilung des Dichters Caspar Bardola.
3)
II. Fortsezzung des Nachtræge ueber das Unter - Engadin von M. R[œsch]
in Der neue Sammler, III, Jahrgang p. 46.
4) Bd. II, p. 125, 100.
5)
Die uralt warhafftig Alpisch Rhetia getruckt zuo Basel, M. D. XXXVIII,
p. Hv.
Romanische Forschungen XXXIII. 11 …
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