<TEI> <teiHeader> <fileDesc> <titleStmt> <title type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition>Digitalisierte Ausgabe</edition> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">1</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Köln</pubPlace> <publisher> <orgName>Sprachliche Informationsverarbeitung, Universität zu Köln</orgName> <email>buero@spinfo.uni-koeln.de</email> <address> <addrLine>Albertus-Magnus-Platz</addrLine> <addrLine>50923 Köln</addrLine> </address> </publisher> <availability> <licence target="http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/de/"> <p>Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.</p> </licence> </availability> </publicationStmt> <sourceDesc> <bibl>Decurtins, Caspar: Rätoromanische Chrestomathie</bibl> <biblFull> <titleStmt> <title level="m" type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition n="1"/> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">7260</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Erlangen</pubPlace> <publisher> <name>Vollmöller, Karl</name> </publisher> </publicationStmt> </biblFull> <msDesc> <msIdentifier> <repository>Digizeitschriften.de</repository> </msIdentifier> <physDesc> <typeDesc> <p>Chrestomatie</p> </typeDesc> </physDesc> </msDesc> </sourceDesc> </fileDesc> <encodingDesc> <p>Dieses Werk wurde in XML/TEI P5 kodiert.</p> </encodingDesc> <profileDesc> <langUsage> <language>Rhaeto Romanic</language> </langUsage> <textClass></textClass> </profileDesc> </teiHeader> <text> <body> Einleitung 159 <lb/>
Wald gegen St. Felix, um den wilden Mann zu suchen, der so mit Baumbart <lb/>
und Moos bedeckt war, dass man nur seine Augen sah. In der Rechten <lb/>
einen jungen Baum als Stock, geschmückt mit einer Kette aus Schneckenschalen, <lb/>
die bei jeder Bewegung rasselten, war er mit zwei gleichgekleideten <lb/>
Jungen in einer Höhle. Die Mädchen fingen die drei Wilden und führten <lb/>
sie, mit roten Seidenbändern gefesselt, nach Marling, wo der wilde Mann <lb/>
allerlei Spässe trieb. Die Feier wurde mit einem Essen geschlossen, bei <lb/>
dem die Kinder und die drei Wilden mit Brot, Wein, Käse und Obst bewirtet <lb/>
wurden. <lb/>
Dieser Brauch mochte früher wohl ziemlich allgemein in den Gemeinden <lb/>
Graubündens geherrscht haben. Ganz abgesehen von der bedeutenden Rolle, <lb/>
die der wilde Mann in der Sage des Prätigaus spielt — bildet er ja das <lb/>
Wappen des Zehngerichtenbundes — lassen sich sichere Spuren dieses <lb/>
Brauches in verschiedenen Tälern nachweisen 1). <lb/>
Das sogenannte Blockziehen fand immer am Fastnachtsdonnerstag <lb/>
statt. Einige Tage vorher begaben sich alle jungen Burschen des Tales <lb/>
in den sogen. „dicken Wald“, um den grössten und schönsten Lärchenstamm <lb/>
zu fällen, eine Arbeit, die mitten im tiefsten Winter mit vielen Mühen <lb/>
und grossen Gefahren verbunden war. Der Block hatte gewöhnlich 1 m <lb/>
Durchmesser und 10 — 12 m Länge. Am Tage vor dem Fest wurde dann <lb/>
der Block fein abgehobelt und bunt bemalt, auf einen Schlitten gelegt, der <lb/>
hintere Teil aber lag am Boden, was das Ziehen noch mehr erschwerte. <lb/>
Am folgenden Tage erschienen dann sämtliche Jünglinge des Tales festtäglich <lb/>
gekleidet und mit bekränzten Hüten in Plan, wo der Block lag <lb/>
und wo sich auch der Hauptteil des Festes abwickelte. Vorerst wurden <lb/>
nun von einigen Possen aufgeführt. Da gab es einmal mehrere Rasierer, <lb/>
die um einige Rappen die Zuschauer rasierten 2); ferner einen Ölträger, der <lb/>
in kleinen und grösseren Gläschen seine verschiedenen Öle verkaufte, einen <lb/>
sogen. Schalksnarren, der fortwährend die Zuschauer belästigte, ferner eine <lb/>
Braut mit dem Brautführer. Nachdem dieses Treiben eine Zeitlang gedauert <lb/>
hatte, tauchte in einer engen Seitengasse der wilde Mann auf, der über <lb/>
und über mit Tannenzapfen und Baumflechten behangen war. Von den <lb/>
Zuschauern in die Enge getrieben, flüchtete sich der wilde Mann über die <lb/>
Brücke hinüber und in den Wald hinauf. Nun begann die Musik zu <lb/>
spielen und lockte so allmählich durch ihre Weisen den wilden Mann <lb/>
1) Wir geben die Schilderung des Wildenmannspiels in Samnaun, wie es <lb/>
Lehrer Rudolf Jenal aus dem Munde des letzten „wilden Mannes“, Augustin <lb/>
Heis, vernommen und Pater Decan Maurus Carnot mitgeteilt hat; vgl. P. M. Carnot <lb/>
Igl um salvadi in der Zeitschrift Ischi, 1911, p. 170ff. … <lb/>
2) Bd. II, p. 222. </body> </text></TEI>