Band: XIII

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In Band XIII liegen die Seitenzahlen zwischen 7 und 246.
Einleitung 15
Caplazi und Vicar Peter Modest de Cajacum, die damals in Somvix eine
führende Rolle spielten.
Jedenfalls ist der Verfasser des Passionsspieles kein Kapuziner; denn
es fehlen alle Merkmale bezüglich Sprache und Darstellung, die auf einen
solchen hindeuten könnten.
Wenn wir den Eindruck der Gerichtsszenen unseres Stückes kurz
und klar bezeichnen wollen, so müssen wir sagen: sie sind ein Strafgericht,
wie es im 16. und 17. Jahrhundert von der siegreichen politischen Partei
über ihre Gegner so oft gehalten wurde. Sind die Namen und einzelne
Aussprüche der Richter auch späteren Apokryphen 1) entnommen, so erheben
sich doch vor unseren Augen die wilden, trotzigen Gestalten der rätischen
Parteiführer, die in Thusis, Chur und Davos die blutigen Strafgerichte abhielten,
Gestalten mit fürchterlicher Realistik gezeichnet: so fordern die
Führer den Gerichtsschreiber auf, besonders das ins Protokoll aufzunehmen,
was gegen Jesus, aber was zu seinen Gunsten spreche, auszulassen oder zu
fälschen. Nichts fürchten dann diese Führer so sehr, wie den Zorn des
Volkes, indem sie davor zittern, Jesus könnte das Volk auf seine Seite
bringen und sich an seinen Gegnern rächen.
In Herodes und Pilatus denkt sich das Volk offenbar grosse „Herren“,
ähnlich jenen Gesandten, die so oft in die Geschichte der drei Bünde
eingriffen und die noch beim letzten Zehntenstreit eine grosse Rolle spielten.
Wie die rätischen Parteiführer durch reiche Jahrgelder den fremden
Mächten dienstbar geworden, um die Gunst der Gesandten buhlten und
diesen schmeichelten, ersehen wir aus der Haltung der Vertreter der Synagoge
vor Pilatus, eine offenbar dem Leben abgelauschte Szene. Da die
Abgeordneten zum Bundstag aus den Geschworenen (Richtern) nach dem
Amtsalter 2) genommen wurden, hatten sehr viele Bauern Gelegenheit, die
fremden Gesandten kennen zu lernen. So begreifen wir die treue Wiedergabe
des damaligen politischen Lebens, wenn der Kanzler des Pilatus die
Abgeordneten der Synagoge als „votre trés humble sérviteur“ anredet,
während Bedelus, der Sprecher der Synagoge, den Schreiber des Pilatus
als „gestrengen Herrn Secretarius“ ausspricht.
In all' diesen Szenen wogt das reiche politische Leben, das für die
1) Codicis Apocryphi Novi Testamenti, Pars tertia edita, curante Jo. Alberto
Fabricio, p. 487 — 489.
2) A° 1670 16 d' Uost. Aschinavon, ca suenter la roda il mess tuchava
en Tujetsch, schei sei en consideratiun a riguard dils dievers veilgs ed jisonzas,
ca ilg pli veilg Gerau il quall continuadamen in suenter gliauter ei staus Gerau
ed en posses, dei vigni tschentaus mess, schei il Sigr. statr. Martin Soliva
vignius ordinaus per mess, essent cel ei staus il pli velg en uffecy a puses
Continuadamen senza interrumper. Decrets da Cumin, p. 18.
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