<TEI> <teiHeader> <fileDesc> <titleStmt> <title type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition>Digitalisierte Ausgabe</edition> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">1</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Köln</pubPlace> <publisher> <orgName>Sprachliche Informationsverarbeitung, Universität zu Köln</orgName> <email>buero@spinfo.uni-koeln.de</email> <address> <addrLine>Albertus-Magnus-Platz</addrLine> <addrLine>50923 Köln</addrLine> </address> </publisher> <availability> <licence target="http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/de/"> <p>Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.</p> </licence> </availability> </publicationStmt> <sourceDesc> <bibl>Decurtins, Caspar: Rätoromanische Chrestomathie</bibl> <biblFull> <titleStmt> <title level="m" type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition n="1"/> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">7260</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Erlangen</pubPlace> <publisher> <name>Vollmöller, Karl</name> </publisher> </publicationStmt> </biblFull> <msDesc> <msIdentifier> <repository>Digizeitschriften.de</repository> </msIdentifier> <physDesc> <typeDesc> <p>Chrestomatie</p> </typeDesc> </physDesc> </msDesc> </sourceDesc> </fileDesc> <encodingDesc> <p>Dieses Werk wurde in XML/TEI P5 kodiert.</p> </encodingDesc> <profileDesc> <langUsage> <language>Rhaeto Romanic</language> </langUsage> <textClass></textClass> </profileDesc> </teiHeader> <text> <body> 14 <lb/>
La Passiun da Somvitg <lb/>
Würdenträger abzugeben und so die Landsgemeinde zu beeinflussen 1). In <lb/>
der demokratischen Bewegung, durch die das letzte Strafgericht zustande <lb/>
kam, behaupteten Geistliche noch eine führende Rolle, wie der Trunser <lb/>
Pfarrer Caplazi 2), der Verfasser der Lieder, die vielleicht mehr als alle <lb/>
andern zum Sturze der österreichischen Partei und der Aristokraten überhaupt <lb/>
beigetragen haben. Aber die im Passionsspiele zutage tretende eingehende <lb/>
Kenntnis des in der Cadi üblichen Kriminalverfahrens … und die <lb/>
Vertrautheit mit dem Recht und den Statuten des Hochgerichtes lassen auf <lb/>
einen Mann schliessen, der längere Zeit im obrigkeitlichen Amte gesessen. <lb/>
Gewiss finden wir bereits in den älteren Passionsspielen anderer Kulturvölker <lb/>
heftige satirische Ausfälle auf die Geistlichen; aber der Gegensatz, <lb/>
in dem hier die Priester zum Herrn treten, lässt einen Verfasser vermuten, <lb/>
der sich im bewussten Gegensatz zu den Geistlichen befand. <lb/>
Wiederholt wird Jesus als der Lehrer dargestellt, der das arme, einfältige <lb/>
Volk belehrt und aufklärt, was den Zorn und die Entrüstung der Hohepriester <lb/>
hervorruft und gerade diese Belehrung des Volkes ist der Hauptvorwurf, <lb/>
den die Priester und ihre Freunde dem Herrn machen; Jesus, der <lb/>
ohne Auftrag und ohne Erlaubnis dem Volke predigt, wird den gelehrten <lb/>
Theologen, die auf den Akademien studiert haben, gegenübergestellt. Annas <lb/>
stellt an den Herrn die Frage, wer ihn zum Doktor und zum Lehrer des <lb/>
hl. Gesetzes gemacht habe; Soliman antwortet höhnend: „Er ist vom Ochsen <lb/>
und vom Esel im Stalle von Bethlehem, wo er geboren wurde, zum Doktor <lb/>
gemacht worden.“ <lb/>
Eine Erinnerung an den gerade in der Cadi langwährenden Streit <lb/>
über die geistliche Gerichtsbarkeit, der noch im beginnenden 19. Jahrhundert <lb/>
bei der Neubearbeitung der durch den Brand zerstörten Statuten <lb/>
des Hochgerichtes aufloderte, kann in der 11. Szene gefunden werden, <lb/>
wo Soliman erklärt: „Wir Geistliche haben eigene Rechte, nicht vor dem <lb/>
weltlichen Gericht erscheinen zu müssen.“ „Per quam regulam?“ fragt <lb/>
der Kanzler. „Wir sind vom Geschlechte des Bruders des Moyses, des <lb/>
Hohenpriesters Aaron.“ Darauf bemerkt der Kanzler: „Das gebe ich zu; <lb/>
aber was hat dies zu sagen?“ Wahrscheinlich haben wir hier den Verfasser <lb/>
in einem Manne zu suchen, der die alte Tradition der Führer der <lb/>
Cadi bewahrt hat und, der katholischen Partei angehörend, entschieden die <lb/>
„alten Rechte und Prärogativen des Hochgerichtes“ verteidigte. Wir <lb/>
denken an Männer wie Bannerherr Jodocus de Cuntrin, Potestat Simon de <lb/>
1) C. Decurtins, Landrichter Nikolaus Maissen, p. 29. <lb/>
2) C. Decurtins, Der Krieg des Bündner Oberlandes gegen die Franzosen, <lb/>
p. 3. </body> </text></TEI>