<TEI> <teiHeader> <fileDesc> <titleStmt> <title type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition>Digitalisierte Ausgabe</edition> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">1</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Köln</pubPlace> <publisher> <orgName>Sprachliche Informationsverarbeitung, Universität zu Köln</orgName> <email>buero@spinfo.uni-koeln.de</email> <address> <addrLine>Albertus-Magnus-Platz</addrLine> <addrLine>50923 Köln</addrLine> </address> </publisher> <availability> <licence target="http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/de/"> <p>Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.</p> </licence> </availability> </publicationStmt> <sourceDesc> <bibl>Decurtins, Caspar: Rätoromanische Chrestomathie</bibl> <biblFull> <titleStmt> <title level="m" type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition n="1"/> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">7260</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Erlangen</pubPlace> <publisher> <name>Vollmöller, Karl</name> </publisher> </publicationStmt> </biblFull> <msDesc> <msIdentifier> <repository>Digizeitschriften.de</repository> </msIdentifier> <physDesc> <typeDesc> <p>Chrestomatie</p> </typeDesc> </physDesc> </msDesc> </sourceDesc> </fileDesc> <encodingDesc> <p>Dieses Werk wurde in XML/TEI P5 kodiert.</p> </encodingDesc> <profileDesc> <langUsage> <language>Rhaeto Romanic</language> </langUsage> <textClass></textClass> </profileDesc> </teiHeader> <text> <body> Einleitung 121 <lb/>
reife politische Sinn des Oberländer Volkes hatte richtig herausgefunden, <lb/>
dass zwischen der damaligen Lage der Juden, die einen Einfall der Römer <lb/>
zu befürchten hatten und der Lage der katholischen Oberländer, die von <lb/>
einem Einbruch der protestantischen Übermacht bedroht waren, eine gewisse <lb/>
Ähnlichkeit obwaltete. Die Phantasie des späteren Geschlechtes, dessen <lb/>
Grossväter den Einfall der Prätigauer und Engadiner 1621 erlebt hatten, <lb/>
liebte es, sich diese Situation auszumalen. <lb/>
Wenn das Lumbreiner Passionsspiel für die rätoromanische Literatur <lb/>
und Kultur auch nicht jene Bedeutung hat, wie sie dem Somvixer Passionsspiel <lb/>
zuerkannt werden muss, so lässt es sich immerhin anderen Passionsspielen <lb/>
an die Seite stellen, die von der Literaturgeschichte anderer Völker <lb/>
sorgsam und liebevoll beachtet werden. In einem kräftigen Romanisch, <lb/>
mit verhältnismässig reicher Handlung und nicht ohne einzelne glückliche <lb/>
Szenen ist das Lumbreiner Passionsspiel ein bemerkenswertes Denkmal der <lb/>
regen Liebe der romanischen Oberländer für die dramatische Darstellung. <lb/>
Eigen ist das Auftreten der Juden in Klassen, das in das Somvixer Spiel <lb/>
nicht herübergenommen war. <lb/>
Es scheint glaublich zu sein, dass das Lumbreiner Passionsspiel in <lb/>
der jetzt vorliegenden Redaktion zur Feier der Einführung der Bruderschaft <lb/>
von den sieben Schmerzen Mariä bearbeitet wurde. Für eine deutsche <lb/>
Vorlage sprechen einzelne deutsche Ausdrücke und Wandlungen, z. B. <lb/>
Nirgerland, failg dilg chimermon, wie solche auch im Somvixer Spiel reichlich <lb/>
vorkommen, sodass man auf die gleiche deutsche Vorlage schliessen <lb/>
könnte. Wenn die Annahme zutreffend ist, so wäre Pfarrer Munschan sehr <lb/>
wahrscheinlich der Verfasser des Lumbreiner Passionsspieles. Wie uns der <lb/>
verstorbene Pfarrer und Canonicus Balthasar Arpagaus, der mit Lehrer Rochus <lb/>
Capeder und Caspar Anton Collenberg die Aufführung leitete, versicherte, <lb/>
war die Aufführung, die er uns ausführlich beschrieb, von den früheren im <lb/>
18. und 19. Jahrhundert sehr wenig verschieden; denn in der damals abgeschlossenen <lb/>
Bauerngemeinde … Lumbrein, wo die Bevölkerung ausschliesslich <lb/>
von Ackerbau und Viehzucht lebte, wahrte man sorgfältig alte Sitten und <lb/>
Gebräuche. <lb/>
Der gleiche Gewährsmann erzählte, dass die Bauern selbst die offenen <lb/>
Bühnen errichtet hatten und dass die Kleidung in Lumbrein selbst hergestellt <lb/>
wurde; die Juden trugen aus grünem und rotem Tuch gefertigte <lb/>
Beinkleider, die Jünger graue Talare (rassas), während Pilatus und Herodes <lb/>
herrlich in Samt und Seide gekleidet waren. Die Muttergottes trug dasselbe <lb/>
schwarze Kleid wie die Mater dolorosa in der Pfarrkirche; die <lb/>
Soldaten des Pilatus traten in der roten Uniform der Schweizergarde von <lb/>
Frankreich auf. An Waffen fehlte es nicht; war ja gerade in Lumbrein </body> </text></TEI>