<TEI> <teiHeader> <fileDesc> <titleStmt> <title type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition>Digitalisierte Ausgabe</edition> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">1</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Köln</pubPlace> <publisher> <orgName>Sprachliche Informationsverarbeitung, Universität zu Köln</orgName> <email>buero@spinfo.uni-koeln.de</email> <address> <addrLine>Albertus-Magnus-Platz</addrLine> <addrLine>50923 Köln</addrLine> </address> </publisher> <availability> <licence target="http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/de/"> <p>Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.</p> </licence> </availability> </publicationStmt> <sourceDesc> <bibl>Decurtins, Caspar: Rätoromanische Chrestomathie</bibl> <biblFull> <titleStmt> <title level="m" type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition n="1"/> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">7260</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Erlangen</pubPlace> <publisher> <name>Vollmöller, Karl</name> </publisher> </publicationStmt> </biblFull> <msDesc> <msIdentifier> <repository>Digizeitschriften.de</repository> </msIdentifier> <physDesc> <typeDesc> <p>Chrestomatie</p> </typeDesc> </physDesc> </msDesc> </sourceDesc> </fileDesc> <encodingDesc> <p>Dieses Werk wurde in XML/TEI P5 kodiert.</p> </encodingDesc> <profileDesc> <langUsage> <language>Rhaeto Romanic</language> </langUsage> <textClass></textClass> </profileDesc> </teiHeader> <text> <body> 120 <lb/>
Einleitung <lb/>
… ein wahrhaft mütterliches Wohlwollen. Joh. Caspar musste für die <lb/>
Königstochter verschiedene Geschäfte in Paris besorgen; und als Collenberg <lb/>
die Notizen über seine Familie niederschrieb, hatte er bereits 160 Briefe <lb/>
der Prinzessin in seiner Hand. <lb/>
Wenn Collenberg im zweiten Briefe von den Ahnen spricht, die mit <lb/>
dem löbl. Pfarramt die Bruderschaft der sieben Schmerzen Mariä errichtet <lb/>
haben, denkt er an die Vorfahren, Bürger von Lumbrein im allgemeinen. <lb/>
Es beteiligen sich dann bei der Schenkung des Chormantels auch andere <lb/>
Lumbreiner in Paris, so Benedikt Capeder, Lorenz Capaul, Otto Bartholomeus <lb/>
Capaul. <lb/>
Diese Notizen zur Familiengeschichte und die drei Briefe zeigen <lb/>
klar und deutlich, wie die Sage, wenn sie die Entstehung des Passionsspieles <lb/>
… mit Johann Caspar Collenberg und der französischen Königstochter <lb/>
in Verbindung bringt, verschiedene Zeiten und Persönlichkeiten phantastisch <lb/>
verbindet. Auch für das Volk eines weltentlegenen Bündnertales, aus dem <lb/>
aber viele Soldaten und etliche Offiziere in Frankreich dienten, war der Hof <lb/>
von Versailles der Innbegriff aller Pracht und Herrlichkeit. Was lag näher, <lb/>
als das Lumbreiner Passionsspiel auf eine Königstochter zurückzuführen? <lb/>
Es erzählt ja das rätoromanische Märchen so viel von Königstöchtern! — <lb/>
Der Redakteur des Passionsspieles, wie es jetzt vorliegt, legte seiner <lb/>
Bearbeitung wahrscheinlich ein deutsches Original zugrunde; ja wir glauben, <lb/>
dass es eine relativ junge Bearbeitung des Passionsspieles aus dem 17. Jahrhundert <lb/>
war, deren Verfasser sich eng an die Evangelien anschloss. <lb/>
Zweifellos lag das Lumbreiner Passionsspiel oder sein deutsches Original <lb/>
den Bearbeitern des Somvixer Passionsspieles vor. So ist die Rede <lb/>
des Kaiphas im Anfange der 4. Szene in der Somvixer Passion augenscheinlich <lb/>
der 4. Szene des Lumbreiner Spieles entnommen, die Anrede <lb/>
des Herrn an das Kreuz in der Somvixer Passion ist die gleiche, wie in <lb/>
der Passiun da Lumbrein 1). <lb/>
Ein Vergleich zwischen beiden Passionsspielen überzeugt uns, dass <lb/>
die kräftige Phantasie des rätoromanischen Volkes im Somvixer Passionsspiel <lb/>
die engen Schranken durchbrach und eine eigene, echt rätische Passion <lb/>
geschaffen hat. Wenn das Wort des Kaiphas, es sei besser, dass ein Mann <lb/>
sterbe, als dass ein Volk verderbe, immer und immer als Leitmotiv der <lb/>
hohenpriesterlichen Politiker wiederkehrt, so darf man nicht vergessen, dass <lb/>
Landrichter Julius Maissen von Somvix, dessen sagenumwobenes Haus <lb/>
mit dem Bilde des armen Lazarus und des „eisernen Mannes“ (igl um fier) <lb/>
noch heute in der Mitte des Dorfes steht, die Auslieferung des Dr. Johann <lb/>
Planta mit dem Ausspruche des Kaiphas begründet hatte. Der feine und <lb/>
1) p. 26, I. 31 ― 35; p. 128, I. 33 — 36; p. 81, I. 31 ― 38; p. 146, I. 18 ― 24. </body> </text></TEI>