<TEI> <teiHeader> <fileDesc> <titleStmt> <title type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition>Digitalisierte Ausgabe</edition> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">1</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Köln</pubPlace> <publisher> <orgName>Sprachliche Informationsverarbeitung, Universität zu Köln</orgName> <email>buero@spinfo.uni-koeln.de</email> <address> <addrLine>Albertus-Magnus-Platz</addrLine> <addrLine>50923 Köln</addrLine> </address> </publisher> <availability> <licence target="http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/de/"> <p>Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.</p> </licence> </availability> </publicationStmt> <sourceDesc> <bibl>Decurtins, Caspar: Rätoromanische Chrestomathie</bibl> <biblFull> <titleStmt> <title level="m" type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition n="1"/> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">7260</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Erlangen</pubPlace> <publisher> <name>Vollmöller, Karl</name> </publisher> </publicationStmt> </biblFull> <msDesc> <msIdentifier> <repository>Digizeitschriften.de</repository> </msIdentifier> <physDesc> <typeDesc> <p>Chrestomatie</p> </typeDesc> </physDesc> </msDesc> </sourceDesc> </fileDesc> <encodingDesc> <p>Dieses Werk wurde in XML/TEI P5 kodiert.</p> </encodingDesc> <profileDesc> <langUsage> <language>Rhaeto Romanic</language> </langUsage> <textClass></textClass> </profileDesc> </teiHeader> <text> <body> Einleitung. XI <lb/>
das Volk noch offenbar an das Schlossfräulein denkt; die folgende Variante <lb/>
weiss nichts mehr von Schloss und Fräulein; das Lied meldet von der <lb/>
Dorfmaid, die von den Gespielinnen Abschied nimmt, nicht von Knechten <lb/>
und Mägden. In diesem Liede hat der Balladenstoff eine ganz rätische <lb/>
Gestalt angenommen und die rätoromanische Version darf sich dem <lb/>
gleichen Liede bei anderen Völkern an die Seite stellen. Dramatisch bewegt <lb/>
… führt uns das Lied mitten in die Handlung; wie lebendig und ergreifend <lb/>
… ist das Widerstreben der Braut geschildert! Eine ahnungsvolle, <lb/>
trübe Stimmung ruht über dem Liede der Treue, welche Tod und Grab <lb/>
überdauert. Auch bei den Rätoromanen können die Seelen der Liebenden, <lb/>
die in die Blumen übergegangen sind, welche das Grab schmücken, nicht <lb/>
voneinander lassen. Die symbolischen Pflanzen, in welche die Seelen <lb/>
der Liebenden übergehen, wechseln bei den verschiedenen Völkern. In <lb/>
den portugisischen Romanzen finden sich bald die Cypresse und der Orangenbaum, <lb/>
… bald ein düsterer Fichtenwald über dem Grabe des Ritters, über <lb/>
dem der Jungfrau ein trauriges Rohrfeld; bei den Serben sind es Rosen <lb/>
und Kiefer, bei den Rumänen zwei Tannen, im griechischen Volksliede <lb/>
eine Cypresse und ein Schilfrohr, bei den Ungarn Rosmarin und Lilie, bei <lb/>
den Schotten Rose und Birke, bei den Wenden zwei Reben, bei den <lb/>
Bulgaren Pappel und Tanne. <lb/>
Zu den ältesten Balladen gehört jene, die von den drei Kameraden <lb/>
erzählt, die zur Jakobsbrücke gingen, offenbar zur Brücke an der grossen <lb/>
Pilgerstrasse, die nach St. Jacob in Gallizien führte. Sie kehrten in eine <lb/>
Wirtschaft ein; der Jüngste verliebte sich in des Wirtes Tochter, die ihm <lb/>
ihre Liebe schenkte und sich mit ihm verlobte; der Glückliche rühmte sich <lb/>
bei den Genossen seines Erfolges; aber der Wirt vernahm es und fuhr ihn <lb/>
hart an: „O du Schelm, was gab sie dir zum Pfand?“ — „Einen goldenen <lb/>
Gurt und zwei schöne goldene Ringe,“ war die Antwort. Aus Rache verklagte <lb/>
… der Wirt den Jüngling, er habe die Tochter behext. Das Lied <lb/>
denkt wohl an Liebeszauber. Der Landammann und die Geschworenen <lb/>
richteten ihn als einen Hexenmeister. Ehe der Todesstreich fiel, forderte <lb/>
der Jüngling die Henne auf, ihn zu rächen und diese nahm so Rache, <lb/>
dass das Blut auf die Strasse floss. Der als Pfand gegebene goldene Gurt <lb/>
lässt auf ein hohes Alter des Liedes schliessen; nicht an den wilden <lb/>
Waldvogel, sondern an die häusliche Henne richtet sich die Bitte des <lb/>
Sterbenden, dafür besorgt zu sein, dass die Seinen ihn rächen und diese <lb/>
erfüllen die Pflicht der Sippe in blutiger Weise. <lb/>
Unter den Liedern, die von dem heimkehrenden Gatten erzählen, <lb/>
finden wir ein eigenes und fremdes; eine Übertragung aus dem Italienischen <lb/>
… ist das Lied: „Chantè, chantè Lisetta.“ Das Original, das Professor </body> </text></TEI>