<TEI> <teiHeader> <fileDesc> <titleStmt> <title type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition>Digitalisierte Ausgabe</edition> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">1</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Köln</pubPlace> <publisher> <orgName>Sprachliche Informationsverarbeitung, Universität zu Köln</orgName> <email>buero@spinfo.uni-koeln.de</email> <address> <addrLine>Albertus-Magnus-Platz</addrLine> <addrLine>50923 Köln</addrLine> </address> </publisher> <availability> <licence target="http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/de/"> <p>Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.</p> </licence> </availability> </publicationStmt> <sourceDesc> <bibl>Decurtins, Caspar: Rätoromanische Chrestomathie</bibl> <biblFull> <titleStmt> <title level="m" type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition n="1"/> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">7260</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Erlangen</pubPlace> <publisher> <name>Vollmöller, Karl</name> </publisher> </publicationStmt> </biblFull> <msDesc> <msIdentifier> <repository>Digizeitschriften.de</repository> </msIdentifier> <physDesc> <typeDesc> <p>Chrestomatie</p> </typeDesc> </physDesc> </msDesc> </sourceDesc> </fileDesc> <encodingDesc> <p>Dieses Werk wurde in XML/TEI P5 kodiert.</p> </encodingDesc> <profileDesc> <langUsage> <language>Rhaeto Romanic</language> </langUsage> <textClass></textClass> </profileDesc> </teiHeader> <text> <body> X Einleitung. <lb/>
Zum ältesten Bestandteil unseres Liederschatzes kann auch das Streitlied <lb/>
… zwischen Wein und Wasser gezählt werden, das uns Campell aufbewahrt <lb/>
… hat und das sicher ein paar Jahrhunderte älter ist, als Campells <lb/>
Aufzeichnung, der offenbar alles weggelassen hat, was an den alten <lb/>
Glauben erinnerte. <lb/>
An verschiedenen Stellen haben wir uraltes Erbgut unserer Volkspoesie, <lb/>
… von einer allzu klugen und kalten Zeit in die Rumpelkammer des <lb/>
Kinderliedes verwiesen, an den alten Ehrenplatz gestellt, den es früher <lb/>
im religiösen und sozialen Leben einnahm. <lb/>
Ähnlich dem Märchen geht der Stoff der Balladen von Land zu <lb/>
Land, von Volk zu Volk; in der Behandlung des nämlichen Erzählungsstoffes <lb/>
… bei den verschiedenen Völkern spiegelt sich die nationale Eigenart <lb/>
wieder, die den Liedern den eigentlichen Charakter verleiht. Echt rätisch <lb/>
ist jenes Lied, das uns von den treuen Lieben erzählt, die nicht voneinander <lb/>
… lassen und die, wenn sie im Leben getrennt waren, im Tode vereint <lb/>
… werden. In der verstümmelten Gestalt, wie das Lied „o mama chara“ <lb/>
uns im Ladinischen und Surselvischen überliefert wird, ist dasselbe ziemlich <lb/>
… unverständlich. Offenbar bedeutet der Trunk, der sonst ganz unmotiviert <lb/>
… wäre, einen Verlobungstrunk oder einen Trunk zum Zeichen <lb/>
geschlossener Ehe. Noch das statutum synodale Andegavense erwähnt <lb/>
die falsche Meinung, die Ehe werde abgeschlossen, indem die Brautleute <lb/>
gemeinsam aus einem Glase Wein trinken; und Polydorus Virgilius erzählt: <lb/>
… „Sponsa apud Anglos postquam benedixerit sacerdos in templo, <lb/>
incipit bibere, sponso et reliquis adstantibus idem mox facientibus“. Wir <lb/>
denken uns, das Lied erzählte ursprünglich, wie der Geliebte in dem <lb/>
Augenblick ankommt, da die Braut einem anderen angetraut wird; ob des <lb/>
traurigen Wiedersehens sterben beide gebrochenen Herzens und werden <lb/>
nebeneinander begraben und aus ihrem Grabe wachsen Blumen, die sich <lb/>
umschlingen, „weil die beiden einander so lieb gehabt“. Die oberländische <lb/>
Form steht dem Original näher als die ladinische; dort haben sich noch <lb/>
die rote Rose und die weisse Lilie erhalten, während sie, wohl um des <lb/>
Reimes willen, in der ladinischen Form durch die Kamillenblüte und die <lb/>
Muskatnuss ersetzt werden. <lb/>
Ladinisch hat sich auch eine alte Form des Liedes: „O bab, bab“ <lb/>
erhalten; hier ist es noch das Schlossfräulein, von dem berichtet wird, wie <lb/>
es von Knechten und Mägden Abschied nimmt, ehe sie gezwungen <lb/>
heiratet und dem ungeliebten Manne die Hand reicht. Die Vermutung, <lb/>
die wir in unserer Vorrede zu den oberländischen Volksliedern ausgesprochen <lb/>
… haben, das Lied gehe in das Mittelalter zurück, scheint somit <lb/>
begründet zu sein; wir haben hier eine Gestalt des Liedes vor uns, wo </body> </text></TEI>