Band: IX

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In Band IX liegen die Seitenzahlen zwischen I und 293.
Einleitung. IX
und Tanz, ursprünglich wohl mit Gesang und Tanz gefeiert. Wir vermuten,
… jene Feier sei die eigentliche mantinada gewesen und jene mantinada,
die später in einzelnen Gemeinden des Vorderrheintales aufgeführt wurde
und das damit zusammenhängende Spiel vom Austreiben der Fastnacht sei
eine Übertragung der ursprünglichen Frühlingsfeier auf die Fastnacht.
So gehört jenes Frühlingsliedchen, das die Kinder in verschiedenen engadinischen
… Gemeinden vor den Häusern sangen, um sich eine freundliche
Gabe zu ersingen, zu den ältesten Denkmälern der rätoromanischen Poesie.
Weit zurück in graue Zeit reicht auch das St. Margaretalied, das
vom Ende des goldenen Zeitalters in den Alpen erzählt und das Pfarrer
Mohr noch im hochgelegenen Remüs gehört hat. Es hat das Lied die
älteste Fassung der Margaretalegende zur Voraussetzung.
Zum ursprünglichen Bestand der rätoromanischen Volkslieder gehören
… offenbar jene Lieder, welche zum Tanze gesungen wurden und nach
deren Weise getanzt wurde. Der feierliche Reigentanz wurde, wie wir
aus einzelnen surselvischen Märchen ersehen, auf grünem Felde aufgeführt.
Die Jugend versammelte sich im Engadin wie im Oberland während des
Mittelalters zu Spiel und Tanz auf offenem Felde. Campell hat uns den
Anfang eines alten Liedes, eine Aufforderung zum Tanz, überliefert:
„Strada commüna ad yra sullatzar“.
Neben dem Reigenlied Nr. 84 verweisen wir auf das eigentümliche Lied
vom Fischer; es ist ein altes Erbstück der rätoromanischen Hochzeitsfeier,
das nicht wie die ursprünglichen Hochzeitsreden der herben Sittenpolizei
der jungen Reformation weichen musste, aller Wahrscheinlichkeit nach
ein Tanzlied.
Aus den engadinischen Schauspielen, die allerdings zumeist Übersetzungen
… sind, erhellt, wie das Lied in enger Beziehung zum Tanze
stand; da begegnen wir Wendungen wie: „Wir tanzen nicht nach deinem
Liede“, „nach eigenem Liede tanzen“. Zu den ältesten Liedern der
Rätoromanen gehören die Spottlieder. Es sind uns einige solche
aus dem Unterengadin erhalten, die, wie aus dem urwüchsigen Ton, den
derben Kraftsprüchen und altertümlichen Bildern, wie boscha grischa, ersichtlich
… ist, ins Mittelalter zurückgehen.
Von den Tierfabeln, … die uns in den dichten Wald zurückführen, wo
der Mensch noch in inniger Beziehung zu den Tieren stand, hat sich nur
ein karges Bruchstück erhalten; es ist das im Engadin wie im Oberland
gesungene Lied von der Liebe der Heuschrecke und der Ameise. Im
Engadin wie im Oberland finden sich noch Spuren des Liedes von der
Tierhochzeit.
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