<TEI> <teiHeader> <fileDesc> <titleStmt> <title type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition>Digitalisierte Ausgabe</edition> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">1</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Köln</pubPlace> <publisher> <orgName>Sprachliche Informationsverarbeitung, Universität zu Köln</orgName> <email>buero@spinfo.uni-koeln.de</email> <address> <addrLine>Albertus-Magnus-Platz</addrLine> <addrLine>50923 Köln</addrLine> </address> </publisher> <availability> <licence target="http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/de/"> <p>Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.</p> </licence> </availability> </publicationStmt> <sourceDesc> <bibl>Decurtins, Caspar: Rätoromanische Chrestomathie</bibl> <biblFull> <titleStmt> <title level="m" type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition n="1"/> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">7260</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Erlangen</pubPlace> <publisher> <name>Vollmöller, Karl</name> </publisher> </publicationStmt> </biblFull> <msDesc> <msIdentifier> <repository>Digizeitschriften.de</repository> </msIdentifier> <physDesc> <typeDesc> <p>Chrestomatie</p> </typeDesc> </physDesc> </msDesc> </sourceDesc> </fileDesc> <encodingDesc> <p>Dieses Werk wurde in XML/TEI P5 kodiert.</p> </encodingDesc> <profileDesc> <langUsage> <language>Rhaeto Romanic</language> </langUsage> <textClass></textClass> </profileDesc> </teiHeader> <text> <body> 1102 Nachwort <lb/>
Bei einem Volke, das in zahlreichen kleinen Gemeinden selbstherrlich <lb/>
… über Wohl und Wehe des Landes entschied, musste das <lb/>
politische Lied eine besondere Bedeutung gewinnen; es erfüllte bei <lb/>
den Rätoromanen vielfach die Aufgabe, welche heute der politischen <lb/>
Presse zukommt. Im Liede wurde der politische Gegner bekämpft, <lb/>
wurden die eigene Partei und ihre Ziele gepriesen; im Liede wurden <lb/>
Bündnisse empfohlen und verworfen, wurde zum Kriege und zum Frieden geraten. <lb/>
Als Wächter jener Pässe, welche aus dem Norden nach den Ebenen Italiens <lb/>
führten, wo im XVI. und XVII. Jahrhundert die Geschicke Europas entschieden <lb/>
… wurden, hatten die drei Bünde damals eine internationale politische <lb/>
Bedeutung, und die Weltgeschichte warf ihre tiefen Schatten in die <lb/>
bündnerischen Alpenthäler. Dies, in Verbindung mit den heftigen Religionskämpfen, <lb/>
… erklärt uns, dass man in Heinzenberg in Volksliedern die Verfolgung <lb/>
der Waldenser, den Tod der jungen Königin Maria II. von England beklagte <lb/>
und gegen die graue Wölfin von Rom donnerte. Noch in den dreissiger <lb/>
Jahren des XIX. Jahrhunderts entstand ein nach Inhalt und Form ächtes <lb/>
Volkslied über die politischen Fragen, welche damals die Schweiz bewegten. <lb/>
Auch das religiöse Volkslied, in welchem die Heiligtümer des Landes <lb/>
und einzelne Heilige in volkstümlicher Weise verherrlicht werden, fand <lb/>
besonders an den Quellen des Rheins eifrige Pflege. Wir wollen hier nur <lb/>
erinnern an das Lied über den Drachenkampf des hl. Georg, welches wie <lb/>
das Nibelungenlied anhebt und wohl weit in das Mittelalter zurückgeht, <lb/>
an das Lied von der hl. Katharina und an die Lieder auf die nationalen <lb/>
Heiligtümer in Disentis, Truns und auf dem hohen Berge Citeil. <lb/>
Zahlreich sind die Lieder, in denen um die Toten geklagt und die Erinnerung <lb/>
… an sie festgehalten wird. Einzelne dieser Totenklagen, welche <lb/>
vorzüglich in den protestantischen Gemeinden sich erhalten haben, wie die von <lb/>
den zwei Hirten auf der Alp von Scheid, oder jene von der Ermordung <lb/>
des Camanzin aus Schams in Venedig und die von der Braut aus <lb/>
der Gabrielschen Handschrift wurden in verkürzter Form noch Jahrhunderte <lb/>
später vom Volke gesungen. <lb/>
Ausgeschlossen blieben Übersetzungen, die längeren Sprüche, <lb/>
sowie die Lieder von Mordthaten, selbst solche, welche bündnerische <lb/>
Vorkommnisse behandeln, mit Ausnahme der Canzun auf Grischot, die <lb/>
ein ächtes Volkslied ist. <lb/>
Während die rätischen Gelehrten, die sich bis jetzt mit dem rätoromanischen <lb/>
… Folklore beschäftigt haben, überall deutsche Mythologie erkennen <lb/>
… wollten, beweist unsere Sammlung, dass die Bewohner Rätiens mit <lb/>
der Sprache auch vielfach Glaube und Brauch des herrschenden Römervolkes <lb/>
und seiner — gerade in Rätien ja sehr zahlreichen — kriegerischen Sendlinge </body> </text></TEI>