<TEI> <teiHeader> <fileDesc> <titleStmt> <title type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition>Digitalisierte Ausgabe</edition> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">1</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Köln</pubPlace> <publisher> <orgName>Sprachliche Informationsverarbeitung, Universität zu Köln</orgName> <email>buero@spinfo.uni-koeln.de</email> <address> <addrLine>Albertus-Magnus-Platz</addrLine> <addrLine>50923 Köln</addrLine> </address> </publisher> <availability> <licence target="http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/de/"> <p>Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.</p> </licence> </availability> </publicationStmt> <sourceDesc> <bibl>Decurtins, Caspar: Rätoromanische Chrestomathie</bibl> <biblFull> <titleStmt> <title level="m" type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition n="1"/> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">7260</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Erlangen</pubPlace> <publisher> <name>Vollmöller, Karl</name> </publisher> </publicationStmt> </biblFull> <msDesc> <msIdentifier> <repository>Digizeitschriften.de</repository> </msIdentifier> <physDesc> <typeDesc> <p>Chrestomatie</p> </typeDesc> </physDesc> </msDesc> </sourceDesc> </fileDesc> <encodingDesc> <p>Dieses Werk wurde in XML/TEI P5 kodiert.</p> </encodingDesc> <profileDesc> <langUsage> <language>Rhaeto Romanic</language> </langUsage> <textClass></textClass> </profileDesc> </teiHeader> <text> <body> Nachwort <lb/>
1101 <lb/>
schmiegt sich den veränderten Anschauungen und Sitten an, bisweilen aber <lb/>
so, dass diese Anschmiegung nicht konsequent durchgeführt ist, sondern <lb/>
zwei verschiedene Zeitalter mit ihren Zuständen und ihrer Vorstellungswelt <lb/>
in demselben Liede sich spiegeln. In der uns erhaltenen Version der genannten <lb/>
… Ballade sagt die Mutter, die ihre Tochter tröstet: „Du warst <lb/>
immer eine ehrbare Tochter. Auch Vermögen, Geld wird dir nicht <lb/>
fehlen.“ Die Tochter antwortet: „Was helfen mir Pferde und Diener, wenn <lb/>
der Kummer nagt an meinem Herzen?“ Ein Abschnitt allgemeiner Culturgeschichte <lb/>
… liegt zwischen Rede und Gegenrede. Und zufälliger Weise ist es die <lb/>
Mutter, welche die jüngere Stufe der Entwicklung vertritt; ihr ist Geld, <lb/>
Kapital das sichtliche Zeichen des Wohlstandes, während in der Antwort <lb/>
der Tochter Pferde und zahlreiche Dienerschaft als Massstab des Reichtums <lb/>
und Ansehens erscheinen. Die Geldwirtschaft einer neuen Epoche steht <lb/>
hier jener Naturalwirtschaft des Mittelalters gegenüber, die in Rätien wie <lb/>
anderswo die Zehnten und Gefälle zur Erhaltung eines grossen Gefolges <lb/>
verwendete und in diesem Gefolge Sicherheit, soziale Stellung und Ehre <lb/>
des Herrn verkörpert sah. Ächt mittelalterlich ist auch jenes seltsame <lb/>
Lied: O Gion Petschen dil tgau plat, in welchem die Mutter die <lb/>
Tochter vor der Heirat mit dem Knechte abmahnt, wobei der Knecht <lb/>
ähnlich wie im Rigsmal als garstig von Antlitz dargestellt wird. In späteren <lb/>
Zeiten scheint dieses Lied zu bösen Streitigkeiten Anlass gegeben zu haben, <lb/>
denn der Sänger bittet die, denen es nicht gefalle, sich zu entfernen. In <lb/>
gleichem Geiste ist das in mehreren Bruchstücken uns überlieferte Lied gehalten: <lb/>
… Si Surselva, dus a dus ensemen, wo sich Knecht und Magd <lb/>
am Herde verloben und die Mäuse mit langen Schwänzen zur Hochzeit <lb/>
erscheinen. Von einer alten Gastsitte erzählt uns jenes balladenartige <lb/>
Lied: Tgi ei cheu o, che splunta? Ein historisches Ereignis, auch eine <lb/>
Lokalsage berichtet von ihm, liegt zweifellos dem erzählenden Liede: Stai <lb/>
si scarvon Gion Paul marvegl! zu Grunde, während wir in dem <lb/>
Liede von der Hochzeit des Heuschrecks und der Ameise die romanische <lb/>
… Bearbeitung des uralten Stoffes von der Tierhochzeit vor uns <lb/>
haben. <lb/>
Auch das Spott- und Rügelied trieb bei den Rätoromanen seine <lb/>
Sprossen, wie aus der Schilderung eines Hochzeitsmahles und eines hässlichen <lb/>
… Unholdes ersichtlich. <lb/>
Der Tanz, eine Lieblingsbeschäftigung des rätischen Volkes, fand in <lb/>
mehreren Liedern seine Verteidigung und Verherrlichung, während andererseits <lb/>
… zahlreiche Sänger vor dem bösen, teuflischen Vergnügen warnten. <lb/>
Manches Lied, das zum erstenmal bei der Aufführung einer Komödie <lb/>
gesungen wurde, erhielt sich als Volkslied. </body> </text></TEI>