<TEI> <teiHeader> <fileDesc> <titleStmt> <title type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition>Digitalisierte Ausgabe</edition> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">1</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Köln</pubPlace> <publisher> <orgName>Sprachliche Informationsverarbeitung, Universität zu Köln</orgName> <email>buero@spinfo.uni-koeln.de</email> <address> <addrLine>Albertus-Magnus-Platz</addrLine> <addrLine>50923 Köln</addrLine> </address> </publisher> <availability> <licence target="http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/de/"> <p>Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.</p> </licence> </availability> </publicationStmt> <sourceDesc> <bibl>Decurtins, Caspar: Rätoromanische Chrestomathie</bibl> <biblFull> <titleStmt> <title level="m" type="main">Rätoromanische Chrestomathie</title> <author> <persName> <surname>Decurtins</surname> <forename>Caspar</forename> </persName> </author> </titleStmt> <editionStmt> <edition n="1"/> </editionStmt> <extent> <measure type="pages">7260</measure> </extent> <publicationStmt> <pubPlace>Erlangen</pubPlace> <publisher> <name>Vollmöller, Karl</name> </publisher> </publicationStmt> </biblFull> <msDesc> <msIdentifier> <repository>Digizeitschriften.de</repository> </msIdentifier> <physDesc> <typeDesc> <p>Chrestomatie</p> </typeDesc> </physDesc> </msDesc> </sourceDesc> </fileDesc> <encodingDesc> <p>Dieses Werk wurde in XML/TEI P5 kodiert.</p> </encodingDesc> <profileDesc> <langUsage> <language>Rhaeto Romanic</language> </langUsage> <textClass></textClass> </profileDesc> </teiHeader> <text> <body> 1100 Nachwort <lb/>
der ganz modernen Sprache in jene Zeit setzen zu dürfen, als die Kirche <lb/>
des hl. Georg bei Rhäzüns mit ihrer Glocke die Bewunderung der Bewohner <lb/>
… der Subselva erregte und diese Glocke im Liede zu der ursprünglich <lb/>
… wohl allein stehenden des Klosters St. Galen gefügt wurde. Wenn <lb/>
im Margaretaliede der Kunkelsberg, der auch im Kinderliede vorkommt, <lb/>
genannt wird, so kann uns das nicht überraschen, sassen ja im Mittelalter <lb/>
dies- und jenseits des Berges Rätoromanen. Unser St. Margaretalied ist <lb/>
zugleich ein interessanter Beitrag zur Margaretalegende, die wir bei <lb/>
den deutschen, romanischen und slavischen Völkern finden. <lb/>
In dem gewiss alten Burschin de Sontg Valentin schimmert ein <lb/>
Pflanzendämon durch, der vielleicht schon vor der Christianisirung einem <lb/>
höheren Gotte weichen musste. Noch heute weiht man dem hl. Valentin <lb/>
eine schwarze Henne zum Schutze gegen Gichtern bei Kindern. Vom Alpsegen, <lb/>
… den nur noch ein Hirt im ganzen Oberlande vollständig kannte, hat <lb/>
sich eine zweite Version handschriftlich aufgefunden; mit ihrer stärkeren <lb/>
Betonung des Zauberwesens repräsentiert sie eine spätere Form. <lb/>
Ueberraschend reich, selbst für diejenigen, die Land und Leute genau <lb/>
kennen, ist die Sammlung der Volkslieder ausgefallen. Den Hauptbestandteil <lb/>
… bildet das Liebeslied, das bei einem so gesunden und kräftigen, <lb/>
wenn auch kleinen Volke reichlich Blüten tragen musste. Die selige Lust <lb/>
erwiderter Liebe, die trostlose Traurigkeit erzwungenen Scheidens und <lb/>
Meidens, die bange Qual des Zweifels und der Eifersucht fanden in unserem <lb/>
Volkliede einen eben so wahren wie poetischen Ausdruck. Ähnlich wie im <lb/>
Märchen nahmen auch jene Balladenstoffe, die von Volk zu Volk gewandert <lb/>
waren, bei den Rätoromanen eine eigene, scharf ausgeprägte Gestalt an. <lb/>
Zu den ältesten dieser Dichtungen gehört zweifellos jenes: O frari, o frari, <lb/>
das in freilich verstümmelter Überlieferung noch heute gesungen wird. <lb/>
Gerade diese Ballade gleicht dem in langem Flusslaufe bis zur Unkenntlichkeit <lb/>
… abgeschliffenen Kieselstein. Ursprünglich wird der treue Liebhaber <lb/>
wohl die Braut bereits mit dem ihr aufgezwungenem Bräutigam verlobt <lb/>
gefunden haben, um dann mit ihr an gebrochenen Herzen zu sterben. <lb/>
Der Trunk, welcher in unserer Ballade jetzt so unerklärt erscheint, war <lb/>
ursprünglich wohl der Verlobungstrunk, den die Braut kredenzen musste, <lb/>
gelten doch Kuss und Trunk im longobardischen Rechte als Besiegelung <lb/>
des Verlöbnisses, und auch später, in Epos und Volkslied des Mittelalters, <lb/>
spielte bei der Verlobung der Becher eine Rolle. Ganz national behandelt <lb/>
den gleichen Stoff die durch alle rätoromanischen Dialekte verbreitete Ballade: <lb/>
Surselva, Surselva, Ti freida, Surselva! die wahrscheinlich in <lb/>
Schams entstanden ist. Diese Ballade zeigt uns in anschaulichster Weise, <lb/>
wie ein Lied durch die Jahrhunderte wandert. Der Inhalt bleibt, die Form </body> </text></TEI>